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Gebrauchshunde im Wandel – Ein Interview mit Markus Neutz (Teil 1)

Markus Neutz ist seit über 30 Jahren Polizeibeamter in Baden-Württemberg und heute als Ausbilder und Fachlehrer an der Diensthundeschule tätig. Seine Erfahrung im Gebrauchshundesport als Hundeführer und Aufbauhelfer erstreckt sich über verschiedene Rassen und Verbände: von Riesenschnauzer, Malinois über Dobermänner. Markus ist außerdem Leistungsrichter und Mitglied der Gebrauchshundekommission des VDH.

Im Mittelpunkt steht die Beobachtung, dass viele Hunde heute, insbesondere im Vergleich zu früher, „weicher“ wirken. Markus Neutz beschreibt im Interview mit Patricia Knabl, wie sich diese Entwicklung im Dienstalltag zeigt: ein häufiger schwächeres Nervenkostüm, geringere Belastbarkeit und Situationen, in denen genau das zu ernsthaften Problemen führen kann.
Der erste Teil des Gesprächs beleuchtet zudem die Herausforderungen in Zucht und Selektion und stellt die Frage, ob die bestehenden Prüfverfahren überhaupt noch ausreichen, um die für den Dienst notwendige mentale Stabilität zuverlässig zu erkennen.

PK: Haben sich die Gebrauchshunderassen über die Jahrzehnte verändert, gar verschlechtert?

MN: In der breiten Masse haben sich wohl fast alle Hunderassen verändert. Ob positiv oder negativ, das muss jeder für sich selber beurteilen. Ich habe an meinen Hund einen gewissen Anspruch. Und es fällt mir heute nicht mehr so leicht wie früher, einen Hund zu finden, der zu mir und in unser Leben passt. Aus meiner Sicht gibt es eine gewisse negative Veränderung.

PK: Was hat sich genau verändert?

MN: Wenn ich es pauschal beschreiben soll, dann würde ich sagen, die Hunde sind weicher geworden. Dabei schaue ich natürlich nicht nur aus einer sportlichen Sicht drauf, sondern vor allem auch aus der dienstlichen Sicht. Ich bin seit über 30 Jahren im Diensthundewesen tätig, in verschiedenen Funktionen: heute bin ich Ausbilder/Fachlehrer an der Diensthundeschule Baden-Württemberg. Ich habe zwar noch einen aktiven Diensthund (Spürhundebereich), habe aber nicht mehr so oft wie früher Einsätze. Früher musste ich mich komplett auf meinen Hund verlassen können. Da hätte es erhebliche Konsequenzen gehabt, wenn der Hund versagt, weil er zu weich ist.

PK: Worin zeigt sich diese weichere Art?

MN: Im Schnitt haben die Hunde ein schwächeres Nervenkostüm, sind eingeschränkter belastbar. Ein großes Thema bei uns ist das Autofahren.  Es ist in diesen Berufen normal, auch mal eine 24-Stunden Schicht zu haben, die für uns wie auch die Hunde anstrengend ist. Wir fahren natürlich schon mal mit 120 km/h und Blaulicht durch die Stuttgarter Innenstadt, wir steigen ein und wieder aus. Es ist ganz wichtig, dass die Hunde während einer solchen Schicht zwischendurch zur Ruhe kommen. Ich sehe aber zunehmend Hunde, die das nicht können. Sie schalten nicht ab, weil sie von der ganzen Situation zu gestresst sind. Hier sehe ich vermehrt Probleme. 

PK: Überwiegen bei Euch Malinois oder DSH?

MN: Vor zehn Jahren hatten wir mehr belgische Schäferhunde. Mittlerweile sind wir aber bald bei 50/50. Beim deutschen Schäferhund gibt es gesundheitliche Einschränkungen. Bei uns ist das aber garnicht ganz so tragisch: wir kaufen meistens ältere Hunde an, die schon HD/ED-überprüft sind.  Ein paar gesundheitliche Themen sehen wir bei den Malis auch: Allergien, Unverträglichkeiten, Bauchspeicheldrüse und leider auch Epilepsie. HD/ED-Themen sehen wir bei Malis eher nicht.

PK: Von diesen nervlichen Einschränkungen, die Du angesprochen hast, ist der DSH aus Deiner Sicht nicht so betroffen?

MN: In diesem “Haltungsbereich”: Autofahren / Zwingerhaltung haben wir mit dem DSH seltener Probleme. Auch haben längst nicht alle Malis ein Thema damit. Aber wir sehen es jedenfalls immer häufiger. Im Sport ist das nicht ganz so tragisch: da kann ich mir die Zeit lassen, die mein Hund braucht. Da fahre ich vielleicht mit zwei Tagen Vorlauf zu einer Prüfung, wenn es meinem Hund hilft, sich zu aklimatisieren.  

PK: Kann man bei dem Thema “Weichheit”/ Regulierungsfähigkeit züchterisch etwas bewirken?

MN: Mein letzter Mali im Dienst hatte in eben diesen Bereichen massive Probleme. Anfänglich konnte ich das noch steuern, indem ich bewusst früher zu den Einsätzen fuhr, um ihn vorher noch entspannen zu lassen. Mit der Zeit half das nichts mehr. Der Vater des Hundes war nicht so extrem; aber er hat Ansätze des Gleichen Stressverhalten gezeigt; ebenso die Geschwister meines Hundes.  

In züchterischer Hinsicht bin ich kein Freund von Ausgleich. Das heisst, ich würde nicht versuchen, ein Defizit auszugleichen, indem ich einen Deckpartner suche, der in dem Bereich bessere Anlagen hat. Aus meiner Sicht müssen Linien, aus denen solche gravierenden Themen hervorgehen, aus der Zucht rausgehalten werden.

PK: Wo siehst du denn die Möglichkeit der entsprechenden Selektion beim Gebrauchshund: Im Sport oder bei den Rassezuchtverbänden?

MN: Die Belastbarkeit im Haltungsbereich erkennst Du vor allem, wenn Du mit dem Hund täglich umgehst. Unser Überprüfungen (Sport, Körung, ZTP) sind nur Momentausschnitte. Gerade im Bereich Härte ist es aber schwer, echte Defizite zu erkennen. Nur weil ein Hund einen Schlag mit dem Softstock locker nimmt, hat er noch nicht die Härte, die ich für den Einsatz suche.

Wenn ich Härte beurteilen will, muss ich sehen, wie der Hund damit umgeht, wenn etwas passiert, das ihm unlieb ist. Wie verhält er sich beim nächsten Mal, wenn er das gleiche nochmal erlebt? Als ich noch im DMC aktiv war, hatten wir darüber gesprochen, die Hunde auf mehrtägigen Veranstaltungen zu überprüfen, um das untrainierte Verhalten besser zu sehen.

PK: Die Überprüfungen sind auch deswegen schwierig, weil man als guter Hundeführer viel über die Ausbildung steuern kann, wenn man antizipiert, was überprüft wird.

MN: Das Ziel jeder Überprüfung ist es zu sehen, was der Hund aus seinen Anlagen heraus macht, nicht auf dem Rücken seines Trainings. Man muss sich überlegen, wie man den Hund aus dem Trainingsbereich raus bekommt. Früher war das sicherlich leichter, weil die Hunde anders gehalten wurden. Außerdem kann mir mordsmäßige Gedanken zur Überprüfung machen und dann hatte der Hundeführer vielleicht ähnliche Ideen und alles, was ich überprüfe, schon 20 Mal mit seinem  Hund trainiert.

PK: Du sagtest anfänglich, dass Du Malis siehst, die Probleme haben, innerhalb eines angemessenen Zeitrahmen wieder abzuschalten und zu relaxen. Wie wäre es, wenn man einen Hund zu Überprüfungszwecken erheblichen Reizen aussetzt (Menschenmengen, ungewohnte Geräusche, andere Hunde, etc. ) und anschließend gerade darauf schaut, wie schnell der Hund wieder runter kommt? Beispielsweise, indem der Hundeführer die nächste Stunde mit seinem Hund im Vereinsheim wartet? Legt der Hund sich hin, versucht er immer wieder aufzustehen, schläft er, nervt er den Hundeführer? Ich würde auch behaupten, dass es sich die Reizschwelle eines Hundes und seine Fähigkeit, sich wieder runter zu regulieren, garnicht so leicht trainieren lassen.

MN: Ja. Aber es wäre in der Praxis sicher mit erheblichen Aufwand verbunden.

PK: Horst-Dieter Träger hatte mir einmal gesagt, dass er sich gerne anschaut, wie die Hunde aus dem Auto kommen, wenn sie an den Platz kommen oder wie sie sich bei der Siegerehrung verhalten. Das sei für ihn manchmal aussagekräftiger als die eigentliche Arbeit auf dem Platz. Die Betrachtung geht in eine ähnliche Richtung: Kommt der Hund nach der Arbeit zur Ruhe, muss der Hundeführer ihm auf der Siegerehrung konstant eine Beisswurst ins Maul stopfen? Vielleicht muss man in der Zucht auch einfach mehr Wert legen auf solche Themen.

Während sich Teil 1 um die Frage drehte, warum viele Hunde heute „weicher“ wirken und welche Folgen das im Dienstalltag hat, geht es im 2. Teil des Interviews um die Ausbildung selbst. Markus Neutz wird erklären, wie sich Unterordnung und Schutzdienst in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben, warum Social-Media-Bilder Erwartungen verzerren können und wo er die größten Herausforderungen in der heutigen Trainingspraxis sieht.

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