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Ein Interview mit Klaus-Jürgen Glüh (Vizepräsident der FCI-Gebrauchshundekommision)

Die neue Internationale Gebrauchshunde Prüfungsordnung ist verabschiedet und gilt ab dem 1.1.2025: welche Änderungen müsst Ihr kennen, wie und warum hat man sich für die Anpassungen entschieden? Wir durften unserem K9andSports-Botschafter Klaus-Jürgen Glüh, der u.a. Vizepräsident der FCI Gebrauchshundekommission und Mitglied der VDH Gebrauchshundekommission ist, alle Fragen stellen.

K9andSports: Wie läuft der Prozess ab, wie lange dauert es, bis die FCI eine neue PO verabschiedet?

KJG: Der war tatsächlich recht komplex, weil wir zum ersten Mal alle Stakeholder, also die Delegierten, die Mitgliedsländer usw. einbinden wollten statt einfach eine neue PO vorzuschreiben. Intern haben wir erstmal in Arbeitsgruppen erste Vorschläge erarbeitet. Die haben wir samt der Probleme, auf die wir gestoßen sind, allen 25 Delegierten der Gebrauchshundekommission vorgestellt. Als Leitlinien galten ein paar Aspekte: es war uns wichtig, den Einstieg in den Sport zu erleichtern, indem man die ersten Prüfungsstufen einfacher gestaltet. Und dann soll und muss die PO den Anforderungen des Tierschutzes entsprechen, indem sie keine Anforderungen stellt, die tierschutzrelevante Methoden fördert oder sogar erfordert.
Dahinter standen natürlich eine Vielzahl von Treffen. Einen Kompromiss zu finden, war bereits in dem Rahmen nicht leicht, weil die Meinungen doch erheblich auseinander gingen. Und so ein Dokument ist am Ende immer genau das: ein Kompromiss. Ende September letzten Jahres haben wir erst einmal Vorschläge allen Mitgliedsländern zugeschickt, so dass jedes Mitgliedsland Stellung nehmen konnte. Auf der VDH Ebene, also in Deutschland, haben wir den Vorschlag mit den Mitgliedsverbänden besprochen und eine deutsche Linie festgelegt.

K9andSports: Ganz schön viel Vorarbeit steckt in so einem Dokument.

KJG: Ja, es macht natürlich mehr Arbeit, Feedback einzuholen und umzusetzen als einfach vorzugeben, wie man es zu machen hat. Diese Feedback Runden liefen unter meiner Leitung und so habe ich die Meinungen der einzelnen Länder zusammen getragen und dann auch unseren Vorschlag wieder
entsprechend abgeändert, wenn man sich unter den Mitgliedsländern mehrheitlich einig war. Ein Beispiel ist die Freisprung-Hürde. Unser Vorschlag war eine Höhe von 80cm. Sie ist dann aber doch bei 100cm geblieben. Das gleiche gilt für das Gewicht des Bringholzes, das wir letztlich nicht geändert haben.

K9andSports: Eine Leitlinie von Euch war es also, den Einstieg in den Sport leichter zu machen; einerseits durch weniger umfangreiche UO-Übungen in der BH, aber auch durch Abspecken der IGP1. Die IGP3 bleibt aber in ihrem Schwierigkeitsgrad bestehen?

KJG: Genau. Es hat sich letztlich nichts geändert an der IGP3 und damit bleibt natürlich auch die Ausbildung des Hundes am Ende gleich. Einzig die Bewertung der Sitzübung haben wir angehoben, was die Punkte angeht. Sie ist jetzt wieder 10 Punkte wert. Hier war sich die internationale Hundesportwelt überwiegend einig, dass die Übung bis dato zu wenig Gewicht bzgl. der Punkte bekommen hat, da sie ja sehr schwierig ist. Natürlich stellte sich dann die Frage, woher man diese fünf zusätzlichen Punkte nehmen soll. In Frage standen 1. die Freifolge, 2. die Dauerablage und 3. die Klettersprünge. Hierüber haben wir viel und kontrovers diskutiert.

K9andSports: Wie ist Deine Meinung dazu, woher wolltest Du die Punkte nehmen?

KJG: Man muss sich m.E. unter verschiedenen Gesichtspunkten nähern. Das ist zum einen der Vergleich der Schwierigkeitsgrade zwischen der Übungen und auch wie schwierig es ist die Übung auszubilden. Wenn ich die Schwierigkeitsgrade von Sitz und Dauerablage vergleiche, ist die Ablage mit all ihren
Elementen und Ablenkungen für mich nicht einfacher als die Sitzübung. Da kann man meines Erachtens keinen Unterschied machen. Die Freifolge darf aus meiner Sicht ebenfalls nicht reduziert werden in der Wertigkeit, weil die Ausbildung in der Praxis lange dauert und sehr komplex ist. Es macht für mich damit am meisten Sinn, die fünf Punkte bei dem Klettersprung zu nehmen. Einen Sprung auszubilden ist relativ einfach. Die Bewertung bleibt aber bei Fehlverhalten gleich. Für den Anteil des Bringens bleibt es bei 5 Punkten. Wird ein Sprung ausgelassen gibt es keine Punkte für das Springen, also minus 5 Punkte. Diese Argumente haben am Ende auch zu einer deutlichen Mehrheit geführt.

K9andSports: Da wir schon mitten in der Unterordnung sind: nach der neuen PO wird das Holz ausgelegt, wenn der Hundeführer nicht in ein vorgezeichnetes Feld wirft. Viele Damen freuen sich darüber. Aber das war wahrscheinlich nicht die zu Grunde liegende Motivation?

KJG: Nein. Vielmehr geht es darum, das Sprungvermögen der Hunde besser beurteilen zu können. Es ist ein wichtiger Aspekt bei der Überprüfung der Gebrauchsfähigkeit unserer Hunde. Beim Richten der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren musste ich feststellen, dass eine auffällig hohe Zahl Anzahl von Hunden Sprungprobleme hatte. Wohlgemerkt: auf einer Weltmeisterschaft. Das Sprungvermögen kann man aber immer dann, wenn das Holz nur kurz hinter der Hürde liegt, garnicht richtig beurteilen. Man sieht dann nicht, mit welcher Sicherheit der Hund die Hürde anläuft und springt und wie kraftvoll die Sprünge sind. Um die für die Beurteilung notwendige Entfernung des Holzes zu gewährleisten, wird jetzt das Feld eingezeichnet. Natürlich gibt es auch da Gegenstimmen, zB dass das Holz dann immer optimal liegt, wenn es ausgelegt wird. Aber so ist es eben: für den einen liegt es optimal, für den anderen nicht. Eine 100% Lösung gibt es da nicht. Die Bedingungen sind nun so gut wie für alle Hunde gleich. Man sollte solche Entscheidungen nicht vorab zerreden, sondern sich in der Praxis anschauen, was die Änderung bringt. Dann kann man immer noch justieren.

K9andSports: Warum ist die Kletterhürde niedriger geworden; von 180cm auf 160cm?

KJG: Ursprünglich wollte man, dass die Hund kontrollierter klettern. Aber das hätte bedeutet, zwei gegenläufige Verhaltensweisen in einer Übung zu verlangen: einerseits soll der Hund triebvoll bringen und andererseits sich aber auch sammeln und kontrolliert klettern. Das ist extrem anspruchsvoll.
In einem Seminar haben wir uns mal genauer angeschaut, wie Hunde natürlich, also ohne Vorgaben, springen. Man konnte sehen, dass die Hunde regelmäßig im ca. 45 Grad Winkel die Hürde anspringen und wieder runter springen. Diesen Winkel können die Hunde nicht beibehalten, wenn sie
„kontrolliert“ klettern. Denn dieses kontrollierte Klettern erreicht man in der Ausbildung meist durch das Aufspannen von Seilen oder Bögen, durch die der Hund ganz steil klettert. Das entspricht nicht dem natürlichen Bewegungsablauf und ist für Rücken und Ellbogen schlecht; Stichpunkt Tierschutz.
Wir haben uns daher entschieden, die Kletterhürde auf 160 cm aufzustellen. So springen die Hunde weniger brachial gegen die Hürde und man sieht einen flüssigeren Ablauf. Gleichzeitig ändert sich der Anspruch an den Hund nicht wesentlich. Auch in diesem Punkt wird man dann in der Praxis sehen
müssen, wie sich das bewährt.

K9andSports: Die Überlegung, den Einstieg in den Sport leichter zu machen, finde ich persönlich gerade auch für junge Menschen sinnvoll. Die IGP1 ist wahnsinnig umfangreich, wenn man Neueinsteiger ist. Ich weiß nicht, ob ich es ohne Umfeld geschafft hätte. Für junge Leute ist das aus meiner Sicht nur etwas, wenn die Familie schon im Hundesport aktiv ist.

KJG: So sehe ich das auch. Stell Dir vor, Du kommst zum ersten Mal in einen Hundesportverein, ohne Freunde und Leute, die Dir dezidiert helfen. Davon gibt es ja auch weniger als früher. Da ist es eine immense Aufgabe, die erste Prüfung zu bewältigen und wir brauchen und wollen ja möglichst mehr
Sportler bei uns halten. Der IGP Sport braucht auch eine Art „Breitensport“ aus denen sich dann wieder ambitionierte Sportlern und Helfern rekrutieren. Professionelle Arbeitsgruppen können diesen Bereich nicht abdecken. Gut finde ich z.B., dass man das „Auflockern“ in die ersten Prüfungen
aufgenommen hat – übrigens völlig normal vor 30 Jahren. Nach der neuen PO kann der Hundeführer den Hund wie gehabt in der Grundstellung halten und nur leicht loben. Er kann ihn aber auch auflösen und mit Hilfe der Stimme und des Körpers loben (nicht länger als 5 Sekunden) und ihn dann
wieder neu in die Konzentration nehmen. Es ist dem HF freigestellt.

K9andSports: Um den Sport zugänglicher zu machen, wird teilweise vorgeschlagen, die Fährte mit einer anderen Form der Sucharbeit zu ersetzen, für die man vielleicht leichter an passendes Trainingsgelände kommt. Wurde das diskutiert?

KJG: Auch das ist diskutiert worden. Das Abschaffen der Fährtenarbeit würde den Sport in seiner Tradition aber wesentlich berühren und davor haben viele Angst. Außerdem haben wir ja die Fährtenhundprüfungen; häufig bilden Hundeführer ihre Hunde dual aus. Ich hatte aber die Idee
eingebracht, die Fährte der IGP1 kürzer zu legen. Dazu ist es aber nicht gekommen.

K9andSports: Bist Du mit den Änderungen im Wesentlichen einverstanden oder gibt es auch Regelungen, die Du lieber anders gesehen hättest?

KJG: Insgesamt ist die neue PO ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Punkt, mit dem ich schwer leben kann, ist aber der Rückentransport in der IGP2. Der Hundeführer muss während des RT zum Helfer aufgehen, neben ihm stehen eine Grundstellung einnehmen, den Softstock abnehmen und einen
Seitentransport zeigen. Meines Erachtens passt die Übung nicht in die IGP2. Besonders unter dem Gesichtspunkt, dass das Anforderungsprofil zwischen den einzelnen Stufen gleichmäßig steigen sollte. Außerdem ist der RT aus meiner Sicht die mit Abstand schwerste Übung im der Abteilung C. Mit
bestimmten Hundetypen braucht man lange, um die Übung ordentlich auszubilden. Für mich sollte sie deshalb nur in der IGP3 gefordert sein. Letztlich waren aber fast 70% der Länder gegen die Streichung der Übung aus der IGP2, viele wollten sogar den Überfall wieder in der IGP2 haben. Was nun überhaupt keinen Sinn macht. Der Unterschied zwischen der 2 und 3 wären dann nur noch 2 Verstecke mehr zu Revieren.

K9andSports: Die Begleithundeprüfung ist in ihren Unterordnungsanforderungen jetzt etwas leichter geworden,
auch kürzer geworden. Die soziale Überprüfung soll aber strenger werden?

KJG: Genau. Die Begleithundeprüfung ist keine Wettkampfprüfungsart. Man hat die Prüfung eingeführt, um den Grundgehorsam und die Sozialverträglichkeit des Hundes abzuprüfen. im Jahr 2000 wurde in Hamburg ein Kind durch einen Hund tödlich verletzt. Zwar war kein Schutzhund
involviert. Dennoch hat man sich, weil wir als Organisation greifbar waren, an uns gewandt. Und selber hatten wir als Organisation auch ein Interesse daran, uns abzusichern, dass nur geeignete Hunde (sozialverträglich mit einem Grundgehorsam) in die verschiedenen Sportarten gehen. Das ewige Fußlaufen aus der BH, wie wir sie bis jetzt hatten, ist für die Überprüfung eines Grundgehorsams nicht notwendig. Viel wichtiger ist es, wieder einen stärkeren Fokus darauf zu legen, ob die Hunde sozialverträglich sind. Dafür geht man weg vom Hundeplatz, schaut wie der Hund sich in der Öffentlichkeit verhält. Darauf sollte man, sollten die Richter, unbedingt mehr Wert legen.

K9andSports: Sozialverträglich in dem Sinne heisst, dass der Hund neutral zu sein hat, solange er nicht angegriffen wird. Wenn jetzt aber beispielsweise auf einer Prüfung ein anderer Hund meinen angreift?

KJG: Ja. Die meisten Richter werden entsprechende Situationen schon erlebt haben. Ein Hundeführer passt nicht auf und dessen Hund geht auf dem Hundeplatz auf den anderen Hund los. Da wäre es natürlich unfair, den zweiten Hund auch zu disqualifizieren, wenn dieser sich wehrt. Da soll aber
unterschieden werden.

K9andSports: In der Präambel wird viel Wert auf artgerechte Haltung und tierschutzkonforme Ausbildung gelegt. Aber auch nach der vorhergehenden PO sollten meidendes Verhalten oder Anzeichen von negativen Stress die Bewertung entsprechend beeinflussen. Gibt die neue PO eine strengere Handhabung vor?

KJG: Man hat das analysiert und in der Tat hat die PO auch vorher schon klare Aussagen gemacht. Unter dem Strich wurden diese Vorgaben aber nicht gut genug umgesetzt. Einige, haben entsprechend bewertet, andere haben den Ausdruck gänzlich ignoriert. Wiederum andere haben nur das Schwarz-Weiss gesehen, also die Extreme. Es geht uns aber auch um die Graustufen. Wenn man negative Einwirkungen sieht, ist die höchste Bewertung nicht mehr möglich. Das gilt auch dann, wenn die Zeichen nicht gravierend sind. Ein „V“ kann nur ein Hund erreichen, der wirklich frei, motiviert und offen arbeitet. Im Schutzdienst gibt es etwas vergleichbares: ein Hund mag volle Griffe setzen, angreifen, nach dem Trennen den Helfer bewachen: wenn aber sein Ausdrucksverhalten nicht erkennbar werden lässt, dass der Hund bereit ist, sich mit dem Helfer auseinander zu setzen, sich durchzusetzen, wenn das
nicht in hohem Maße erkennbar ist: dann kann auch kein „V“ vorliegen.

K9andSports: Da sind wir ja bei dem Begriff Dominanz angelangt. Bist Du der Meinung, dass darüber unter den Richtern Einigkeit besteht? Dass die Hundeführer verstehen, was die Richter sehen wollen oder was die PO verlangt?

KJG: Nein, da fehlt es am gemeinsamen Verständnis. Man kann sich dem Begriff wissenschaftlich nähern oder auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgreifen. Dominanz bedingt jedenfalls immer zwei Subjekte. Das eine Subjekt zeigt gegenüber dem anderen eine Selbstsicherheit mit dem Willen sich durchzusetzen, in erkennbarer Weise. Man sollte aber generell weniger auf dem Begriff rum reiten. Es geht darum, dass der Hund dem Helfer selbstbewusst gegenüber tritt, aktiv ist und man erkennen kann, dass der Hund die Auseinandersetzung mit dem Helfer sucht. Das setzt die höchste
Bewertungsstufe voraus. Ich selber benütze den Begriff „Dominanz“ in meinen Besprechungen bewusst nicht, weil zu viel Unklarheit besteht.

K9andSports: Es liegt in der Natur der Sache, dass eine PO den Richtern Spielraum lässt, wenn sie bewerten. Es wird aber immer wieder Unzufriedenheit laut. Siehst Du Wege, um das Richtwesen ggf. weiter zu verbessern, transparenter zu machen, was gefordert ist und wie bewertet wird?

KJG: Wir müssen in der FCI und auch im VDH richtungsweisende Prüfungen und Richter haben. Wir brauchen in beiden Organisationen Richter, die das, was wir vorgeben, auch zu einem hohen Prozentsatz umsetzen. Ich glaube, wenn auf den Meisterschaften dann so gerichtet wird , wie es vorgesehen ist – einheitlich -, dass sich dann auch unsere Auslegung durchsetzen kann und sich in Folge auch mehr Richter daran orientieren. Denn weder die Sportler noch die Richter kommen sonst weiter. Für den Sportler muss auch die Richtung erkennbar sein und damit verlässlich werden. Ende November werden wir eine internationale Richterschulung durchführen, auf der wir über Probleme beim Richten in unserem Sport reden, um da ein Bewusstsein für zu schaffen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Danach steigen wir natürlich in die Änderungen der neuen Fassung der PO ein. Auch in Deutschland verfolgen wir den Ansatz, dass wir erstmalig verbandsübergreifend gemeinsam eine einheitliche Richtung erarbeiten. Wir sollten und wollen uns über die Verbände hinweg im Richtwesen annähern. In der Vergangenheit ist man in den VDH-Mitgliedsverbänden getrennte Wege gegangen. Das bringt aber viel zu viel Unsicherheit mit sich. Wenn wir es schaffen, uns da mehr anzunähern, eine einheitliche Philosophie zu entwickeln, dann sind wir einen großen Schritt weiter gekommen.

K9andSports: Dann danken wir Dir, K-J, für Deinen ganzen Einsatz für den Sport. Gerade telefonierst Du ja aus Kroatien von der FCI WM. Wir wünschen Dir und Euch noch eine schöne Veranstaltung

Klaus-Jürgen-Glüh, Vizepräsident FCI-Gebrauchshundekommision
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