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Gebrauchshunde im Wandel – Ein Interview mit Markus Neutz (Teil 2)

Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Ausbildung im Hundesport und darum, warum das perfekte Bild auf dem Platz nicht immer mit dem tatsächlichen Können des Hundes übereinstimmt. Markus Neutz erklärt, wo Übungen übersteuert werden, warum Social-Media-Vorbilder oft mehr Stress als Fortschritt bringen und wie sich das auf die Harmonie zwischen Hund und Hundeführer auswirkt. Außerdem gibt er Einblicke in den Schutzdienst und hinterfragt, welche Rolle der Sport heute noch bei der Selektion von Gebrauchshunden spielt.

PK: Es sind schon fast geflügelte Worte, dass die Ausbildung in den letzten Jahren “besser” geworden sei. Wie hat sich die Ausbildung über die letzten Jahrzehnte aus Deiner Sicht verändert?

MN: Wir reden in meinem Fall von 40 Jahren Hundeausbildung. Über diese Zeit hinweg hat sich die Ausbildung massiv gewandelt. Natürlich auch sehr zum Wohl des Hundes. Früher hatten die Hunde kaum die Chance, irgendetwas richtig zu machen. Das ist natürlich heute ganz anders.

Dennoch ist es plus/minus zehn Jahre her, dass ich die besten Arbeiten in der Unterordnung gesehen habe. Die FCI spricht manchmal von “natürlichem Verhalten” in der Unterordnung. So weit würde ich nicht gehen: aus meiner Sicht ist nichts von dem, was unseren Hunden im Sport abverlangt wird, “natürlich”. Sehr wohl kann aber die Arbeit auf dem Platz harmonisch aussehen. Und diese Harmonie scheint mir in letzter Zeit etwas verloren zu gehen.

PK: Woran liegt das?

MN: Ich glaube, dass oft zu viel auf einzelne Elemente einer Übung geschaut wird. Da muss zum Beispiel der Rückweg beim Apportieren unbedingt extrem schnell sein. Es wird aber übersehen, dass dabei der Sinn der Übung verloren gehen kann.

PK: Worin liegt der Sinn der Apportierübung?

MN: Für mich, dass der Hund mir gerne etwas bringt, das ich geworfen habe. Dazu gehört natürlich auch, dass der Hund gerne abgibt. Heute siehst Du aber oft Übungen mit schnellen Wegen, tollen Aufnahmen und ordentlichen Vorsitzen. Erst beim Abgeben sieht man dann, dass der Hund Stress hat, weil er unruhig wird und nicht wirklich abgeben will.  

Ihr trainiert ja mit dem 2-Beute System; an und für sich ein sehr schönes System. Wenn es gut ausgebildet ist, führt das zu einem tollen Bild. Aber es kreeirt sehr viel Besitzerwillen auf das Holz. In Folge ist die Abgabe schwieriger auszubilden. Ähnlich sieht es mit dem Beutetausch aus; auch hier entsteht leicht eine Besessenheit für das Spielzeug.

PK: Wie bildest Du das apportieren aus? Ein schönes Tempo wird Dir ja auch wichtig sein?

MN: Hunde können auch eine gute Geschwindigkeit an den Tag legen, weil sie gerne vorsitzen. Wenn für den Hund der Vorsitz die beste Position der Welt und das Holz gleichzeitig nicht übermäßig wichtig ist, kommt der Hund schnell und gibt auch gerne das Holz für eine Belohnung her. Auch so kann man einen schnellen Apport hinbekommen.

PK: Hast Du ein weiteres Beispiel, wo aus Deiner Sicht einzelne Elemente übersteuert werden und dadurch der Sinn der Übung verloren geht?

MN: Die Fußarbeit: mir persönlich gefallen verschiedene Bilder vom Fuß laufen. Der Hund kann senkrecht nach oben gucken, zur Achsel oder ein bisschen mehr ins Gesicht. Viele Hundeführer bewerten es aus meiner Sicht über, wenn der Hund kleine Fehler macht, z.B. mal leicht schräg geht oder etwas vorprellt. Ein großes Problem ist bestimmt, dass wir heute in den sozialen Medien viel mehr Bilder vorgesetzt bekommen. Gerade Neueinsteiger haben dann gerne mal eine ganz konkrete Vorstellung davon, wie die Fußarbeit mit ihrem Hund aussehen soll. Das Hochschauen des Hundes hat der Knut schon vor vielen Jahren wunderbar präsentiert. Heute empfinden wir das vielleicht nicht mehr als komplett harmonisch; ein schönes Bild wäre es aber auch heute noch.

Das Problem ist, dass nicht jeder Hund in der Lage ist, diese Position zu halten. Dennoch bestehen viele Hundeführer darauf. Sie wollen das Fußlaufen von Knut und das Apportieren von einem anderen bekannten Hundesportler. Aber nimm ein schnelles Sitz: Du siehst schon bei Welpen, ob sie das mal schnell machen können. Manche Hunde werden nie sehr schnell absitzen.  Es kommt mir so vor, als würde in den Trainings suggeriert, dass das alles machbar sei, wenn man nur lang genug trainiert.

Wenn es dann in der Praxis nicht klappt, schafft der Hundeführer eine Form von Stress beim Hund, der die Erwartungen nicht erfüllt. Nicht Stress auf Grund von Bestrafungen oder Korrekturen, sondern Stress aus einem Gefühl der Überforderung heraus.  Der Hundeführer ist nicht zufrieden, nörgelt rum, macht immer noch mehr. Irgendwann wirkt die Arbeit nicht mehr harmonisch.

Deswegen bin ich ein Freund davon, den Hund erstmal machen zu lassen, anzunehmen, was er anbietet. In diesem Rahmen wird der Hund sich wohl fühlen, weil er in der Lage ist, das selber Angebotene zu leisten. Wobei ich das nicht damit gleich setze, keine Regeln aufzustellen. Hunde brauchen Regeln.

PK: Wenn sich die Leute an Videos in den sozialen Medien orientieren müssen, könnte das auch daran liegen, dass ihnen ansonsten eine genaue Anleitung fehlt? Wäre hier explizit festgelegt, dass nicht nur eine Art des Fußlaufens die Anforderungen für ein “Vorzüglich” erfüllt, würden sich die Leute vielleicht weniger an erfolgreichen Vorbildern orientieren. Ich habe mir die PO schon öfter unter dem Aspekt durchgelesen, ob ich auf Grund der Regelungen verstehen, was von Hund und Hundeführer gefordert ist und wofür man Punkte verliert. Ich kann das der PO jedenfalls nicht so entnehmen, dass ich wüsste, auf was genau ich hintrainieren soll. Im Wortlaut steht: “der Hund muss freudig, aufmerksam .. folgen”: wann ist der Hund freudig, woran erkennt der Richter das? Teilweise wird gesagt, dass die Hunde natürlich laufen müssten, der Rücken noch gerade sein soll. In der PO steht aber nichts von einem “natürlichen Gangwerk”. Auch die “freie oder harmonische Arbeiten” ist nicht weiter umschrieben. Wahrscheinlich kriegt man zehn Antworten, wenn man zehn Richter fragt, wie das genau aussehen soll. Bei den Hundeführern werden einige wahrscheinlich garnichts mit den Begriffen anfangen können.

Im Reitsport bzw. Dressur gibt es offizielle ergänzende Unterlagen, die genauer erklären, was in der Prüfungsordnung gewollt ist. So etwas ist eine große Hilfestellung. Mit Zeichnungen und Photos wird veranschaulicht, was Anzeichen von Stress sind, was als offen und freudig angesehen wird. Das wäre für die Hundeführer hilfreich und für die Richter auch – so könnte man zu einer besseren Vergleichbarkeit kommen.

MN: Das ist schwierig. Wenn wir über die Unterordnung sprechen, finden wir garkeinen Hund, der eine 100er Unterordnung ableistet, wenn wir im Detail richten.

PK: Also ist eine 100er Unterordnung garnicht möglich? Mia hat es ja mit mit Helge auf der FMBB geschafft und die Unterordnung sieht auch heute noch toll aus.

MN:. Ja, die Unterordnung ist auch heute nicht weit weg von 100. .

PK: Was ist denn für Dich der Maßstab als Richter? Nehmen wir als Beispiel das Sitz. Du sagstest vorher, nicht jeder Hund ist in der Lage, ein schnelles Sitz zu machen.

MN: Ich bin im PSK. Als Verband haben wir nicht viel Einfluss auf das Richten. Aber meine Formulierung lautet: “das war genügend schnell”. Manche fassen das negative auf, obwohl es so nicht gemeint ist. Für mich bedeutet “genügend schnell”, dass die Übung erfüllt ist. Mein Maßstab ist nicht das schnellste Sitz. Es wird sich immer ein Hund finden, der noch schneller sitzt oder in einer höheren Frequenz bellt. Nicht die einzelne Spitzenleistung an einem Tag ist das “V”, sondern technische, saubere Ausführungen, Geschwindigkeiten, keine Anzeichen von massivem Stress oder Stressverhalten.

PK: Stressverhalten: woran erkennst Du das? Und wieviele Punkte verliert der Hundeführer jeweils? Spielt es eine Rolle, was die Ursache ist? Stressverhalten muss ja nicht immer daraus resultieren, dass der Hund korrigiert wurde. Es gibt auch Hunde, die gestresst sind, wenn sie nicht verstehen, was sie tun sollen oder Hunde, die mit dem Umfeld nicht zurecht kommen auf einem Wettkampf.

MN: Stress ist vielleicht nicht das richtige Wort, es gibt kein Leben ohne Stress. Positiver Stress wird für sehr gute Leistungen benötigt. Wenn man das Wort Stress so nimmt wie es die meisten Leute wohl sehen, also ‘ich bin gestresst, das heißt ich fühle mich überfordert, oder etwas macht mich nervös oder gar ängstlich‘ dann ist es wohl eher verständlich. Es spielt absolut keine Rolle warum sich ein Hund überfordert fühlt, oder warum er nervös ist oder was auch immer.  Wenn das deutlich auftritt, dann kann die Übung kein sehr gut mehr sein, egal wie die technische Ausführung ist. 

PK: In den letzten 20 Jahren sind die Punkte bei Wettkämpfen in B und C im Schnitt fast 10 Punkte runter gegangen (FMBB, FCI, WUSV, …). Woran liegt das?

MN: Es hat sich sicherlich die Richtweise ein bisschen verändert.

Aber mir persönlich gefallen auch viele Schutzdienste nicht mehr so gut. Meine persönliche Empfindung versuche ich beim Richten natürlich auszublenden. Denn wir reden ja immer noch von einem Sport. Solange die sportliche Leistung gut gemacht ist, das Bild auf dem Platz also gut aussieht, mache ich mir keine Gedanken über die Motivation des Hundes. Vielleicht wird aber von manch anderem zu viel hinterfragt, was die eigentliche Motivation des Hunde ist und entsprechend Punkte gezogen.

Wenn der Hund das Bild der PO ERFÜLLT dann ist die grundsätzliche Motivation nicht wichtig. Es ist auch sehr schwer das zu erkennen und zu unterscheiden. Gerade im Schutzdienst wird ja immer von Aggressionen und Beuteverhalten gesprochen, aber kann ich das wirklich in unserem Sport differenzieren?  Letztendlich ist nahezu alles was die Hunde im Schutzdienst zeigen Beute oder jagdlich motiviert.

PK: Welche Defizite siehst Du im Schutzdienst?

MN: Ein Beispiel: Ich persönlich mag das Wechseln auf die offene Seite nicht. Für mich sollte bei der Ausbildung der Bewachung nicht zu viel vorgegeben oder manipuliert werden. Ich möchte, dass der Hund sein natürliches Verhalten zeigt, in dem er sich wohl fühlt und das er entwickeln kann. Wenn der Hund zum Beispiel sehr beute-gelagert ist, kann er trotzdem ein toller Hund sein und einen tollen Schutzdienst machen.

In Deutschland wurde aber sehr viel Wert auf eine bestimmte Technik gelegt. Das sieht man auf Prüfungsvideos bis auf ganz hoher nationaler Ebene. Die Helfer haben sich dem angepasst. Da wurde der Arm hen auf die Seite genommen, damit der Hund rüber wechseln kann auf die offene Seite. Wenn das ein Helfer dann anders macht, z.B. die Helfer der tschechischen Schule oder auch die Österreicher, wenn er dann den Arm vor dem Körper hält, kommen unsere Hunde dann ins Schwimmen. Natürlich nicht die Hunde, die perfekt ausgebildet sind, aber die breite Masse. Ich schätze bei 80% aller Hunde passieren dann massive Fehler. Manche vergessen, was sie machen sollen, bei anderen klappt das bellen nicht. Wir sehen heute Sachen, die hätten wir früher nicht gesehen: z.B., das sein Hund den ganzen Hundeplatz dem Hundeführer entgegen kommt, weil er unsicher geworden ist oder das ständige nachfassen.

Wir haben immer noch Spitzenleistungen im Schutzdienst. Aber nicht mehr in der breiten Masse. Für mich ist das eine Auswirkung der Ausbildung. Mit der Qualität der Hunde hat das nicht unbedingt etwas zu tun.

MN: Junge Hunde werden von Anfang an auf ein gewünschtes Bild trainiert. Da wird oft dem Hund wenig Möglichkeit gegeben sich zu entwickeln. Die Hunde lernen dadurch nur Reaktionen auf Bilder, solange die Bilder passen können die Hunde gute Arbeit abliefern. Wenn das Bild nicht mehr passt haben die Hunde aus meiner Sicht dann wenig Lösungen. Als Beispiel das sogenannte Helfertreiben, der Hund reagiert hier nur auf das vorgebene Bild, natürliche Aggressionen entwickelt er dadurch nicht. Sondern eigentlich das Gegenteil, wenn ich Hunde bei mir im Dienst habe die so trainiert wurden, dann ist meistens die Lösung nicht die gewünschte Auseinandersetzung, sondern der erste Versuch des Hundes ist noch mehr zu bellen, weil das sein angelerntes Verhalten ist.

PK: Anderes Thema im Zusammenhang mit Schutzdienst: das ruhige Bewachen. Weder auf Grund der PO noch auf Grund der Bewertungen, die ich gesehen habe, verstehe ich, wie ein Hund aussehen muss, der ein V beim ruhigen Bewachen bekommt. Ein Beispiel, bei dem ich ratlos war, ist Branko von Theo Sporrer. Das ist ein Hund, dem ich persönlich das ruhige Bewachen “abnehme”. Wenn der vor mir stünde, rühre ich mich bestimmt nicht.

MN: Den habe ich schon gerichtet. Von mir hat er viele Punkte bekommen. Aber grundsätzlich ist es ein Unterschied, ob man ein Video sieht oder neben dem Hund steht. Ich habe auch schon das wirklich perfekte, druckvolle, ruhige Bewachen von Branko gesehen. In zwei Prüfungen hat er aus meiner Sicht die Spannung nicht ganz gehalten gehalten beim Herantreten des Hundeführers. Der Moment ist für mich als Richter immer am interessantesten. Da das ein Kurzer Moment ist, lügt da die Kamera vielleicht auch mal.

PK: In der Präambel der neuen Prüfungsordnung ist nicht mehr die Rede davon, dass der Sport ein Selektionsmittel ist. Sinn und Zweck des Sports ist danach nur die Auslastung der Hunde. Wie siehst Du das? Und handelt es sich um einen Redaktionsfehler oder Absicht, dass der Aspekt der Selektion verloren gegangen ist?

MN: Reine Selektion war der Sport für mich noch nie. Aber natürlich prüfen wir Qualitäten, wenn der Hund zum Beispiel über mehrere Jahre immer wieder gut geführt wird. Auch Ausbildbarkeit ist ein wichtiges Zuchtkriterium. Ob die Selektion absichtlich rausgeflogen ist, kann ich Dir nicht sagen. Aber grds. sind wir in einer undankbaren Situation: wir führen mit Abstand die meisten IGP-Prüfungen im Jahr durch und haben dennoch nur eine Stimme wie z.B. Malaysia, wenn es um Abstimmungen bei der FCI geht. Da kann leicht mal eine Änderung erfolgen, die nicht in unserem Sinne ist.

Nachdem Markus Neutz in diesem Teil über Ausbildung, Motivation und das richtige Maß an Stress bei Unterordnung und Schutzdienst gesprochen hat, richtet sich der Blick im 3. und letzten Teil auf die Strukturen hinter dem Sport. Wer entscheidet, wie gerichtet wird? Welche Rolle spielen Prüfungsordnung, Richter und Helfer und wie prägt das den Hundetyp und die Leistung im Schutzdienst?

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