Statements & Fakten

Wer geht schon mit einem Hetzarm über die Straße?

Dr. Esther Schalke räumt mit Vorurteilen gegenüber der Ausbildung im Schutzdienst auf

von: Sporthund/Mike Scheffner

Esther Schalke und Hans Ebbers  Dr. Esther Schalke ist für den Hundesport ein Glücksfall! Sie ist die perfekte Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Tiermedizin und dem Hundesport. Sie ist Mitglied im DVG Ibbenbüren-Bockraden und kennt den VPG-Sport seit ihrer Kindheit, hat wissenschaftlich an der Tierärztlichen Hochschule Hannover am Institut für Tierschutz und Verhalten mit dem Forschungsschwerpunkt Lernverhalten und Aggressionsverhalten bei Hunden gearbeitet und ist promovierte Fachtierärztin für Tierverhalten. Kurz gesagt: Sie weiß, wovon sie spricht!

Ich treffe Frau Dr. Schalke in einem Café in Hörstel. Schnell stellt sich heraus, dass sie eine aufgeschlossene Gesprächspartnerin ist. Sie gibt mir zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, die überlegene Expertin zu sein, die sie zweifelsohne ist. Schnell sind wir beim „Du“ angelangt. Mit ihrer herrlich lockeren und freundlichen Art hat sie sich vor keiner Frage gedrückt, was leider nicht selbstverständlich in der Hundesportszene ist, und bereitwillig Auskunft gegeben.

Im Verlauf unseres Gesprächs gesellte sich dann noch ihr Mann Hans Ebbers dazu, der ebenfalls sehr kompetent aus seiner Sicht als zertifizierter Hundetrainer der Tierärztekammer Niedersachsen, Leistungsrichter und aktiver Hundesportler Sachverhalte beleuchtete.

Sporthund: Kannst Du bitte kurz Deinen Bezug zum Hundesport schildern und in welchen Sportarten Du aktiv bist bzw. warst.

Dr. Esther Schalke: Angefangen habe ich als Kind. Da gab es bei uns nur Schutzhundesport. Später habe ich dann auch Rettungshundearbeit gemacht – Flächen- und Trümmersuche.

Ich bin Mitglied hier im DVG. Das ist ein reiner VPG-Platz. Im Moment habe ich selber keinen Hund, den ich im IPO-Sport führe. Aber wir trainieren gemeinsam den Mali meines Mannes. Ich persönlich habe eine Labradorhündin, die ich im Mantrailing ausbilde. Dann mache ich mit ihr noch Dummy-Arbeit und führe sie auch jagdlich. Das macht mir mehr Spaß, als der Dummy-Sport. Außerdem habe ich noch eine Bloodhound-Hündin. Die ist schon uralt. Mit der habe ich nur Mantrailing gemacht, aber die ist jetzt in Rente. Hans hat noch einen Diensthund, mit dem er arbeitet und den Mali, den wir im Schutzdienst ausbilden. VPG! Schutzdienst darf man ja nicht mehr sagen.

Sporthund: Einige Deiner Kollegen haben klare Vorbehalte gegen den Schutzhundesport. So sagte Dr. Udo Gansloßer z. B. in der NDR-Sendung „Panorama 3“ am 22.01.2013 Folgendes: „Das ist nicht ungefährlich: Denn genau wie die Ausbildung zum Diensthund macht auch der Schutzhundesport die Tiere aggressiv. Wir erziehen mit der Zeit einen Aggressionsjunkie, der von Mal zu Mal mit einer niedrigeren Reizschwelle, also mit einer noch höheren Bereitschaft zum Angriff, dann auf die nächste Situation regelrecht wartet. Wir sprechen hier von Lustbeißern, er findet es dann irgendwann wirklich spaßhaft zuzubeißen“. Wie siehst Du das?

Dr. Esther Schalke: Zuerst nehme ich mal das „man macht die Hunde aggressiver“. Es gibt ja kaum Statistiken dazu, aber die Schweizer haben eine Anzeigepflicht bei Hundebissen.

Deshalb habe ich mir mal von einem Schweizer Kollegen die Statistik von einem Jahr geben lassen und geschaut, wie viele Hunde aus dem Sport dabei waren. In dem Jahr gab es, wenn ich mich richtig erinnere, ungefähr 270 Beißunfälle. Ich habe mich gewundert, dass es so viele waren. Wobei man dazu sagen muss, dass auch Welpenbisse, die eine Tetanusimpfung nach sich ziehen, dort meldepflichtig sind. Man muss da also vorsichtig mit der Bewertung sein.

Aber von den ganzen Vorfällen, war nur ein einziger Hund dabei, der im Sport geführt wurde und der kam weder aus dem VPG-Sport noch aus dem Mondioring. Alles andere waren reine Familienhunde.

Das wäre die statistische Seite.

Dann zu dem Aggressionsverhalten im Sport. Es ist ja so, dass die meisten Hundesportler, die VPG machen, ohne dass ihnen das wirklich klar ist, gar kein Aggressionsverhalten wachrufen.

Aber sehen wir uns zuerst einmal an, wie es sein sollte. Der Ärmel ist ja nichts weiter als eine Beutebelohnung. Jeder, der aus dem Sport kommt, weiß, ob es ein Bällchen oder ein Hetzarm ist, ist völlig egal. Für den Hund ist der Arm nur eine Belohnung mit einer höheren Wertigkeit. Worauf man achten muss, ist, dass man eine gute Signalkontrolle hat. Die schreib ich dir mal auf:

  1. Wenn du eine Person hast, mit Arm, und die Person steht im Versteck, dann ist das nichts anderes als das Signal, wie wir es lerntheoretisch nennen, für Verbellen
  2. Wenn du eine Person hast plus Ärmel aber minus Versteck, also der Helfer steht außerhalb des Verstecks, dann ist das nichts weiter als das Signal für das, was wir immer so schön die Bewachungsphase nennen.
  3. Wenn du dann eine Person hast ohne Ärmel, egal wo sie steht, auch im Versteck, also generalisiert, ist das gar kein Signal.
 

Signalkontrolle Esther Schalke

Wenn man das so ausbildet, was ja die meisten auch ganz sauber so machen, dann ergibt sich daraus, sobald die Person keinen Ärmel hat, ist sie kein Signal. Und wenn man das auch ganz bewusst als Trainingseinheit hintereinander und nebeneinander schaltet, so dass das Tier das lernen kann, dann besteht keine Gefahr.

Sporthund: Also ist die Aussage von Dr. Gansloßer Populismus?

Dr. Esther Schalke: Ich weiß nicht, ob das Populismus ist. Das will ich Udo nicht unterstellen. Meine Frage an ihn wäre, wie viel hast du dich mit dem Schutzdienst, wie er im Sport praktiziert wird, auseinandergesetzt.

Ich kenne das auch aus der Tierärzteschaft, dass viele Kollegen sagen, das macht die Hunde aggressiver. Wenn man dann fragt, wann warst du denn das letzte Mal auf einem Hundeplatz und hast zugeguckt, dann ergibt sich oft, dass sie nur ein- oder zweimal im ganzen Leben Schutzdienstausbildung gesehen haben und das ist dann meistens auch schon ziemlich lange her. Und da haben wir ja auch noch ein bisschen anders gearbeitet – muss man ehrlicherweise sagen.

Dann die Frage der Aggression … Wenn es zur Aggression kommt und man den Hund in einen Konflikt holt, dann ist es so, dass der Hund das Konfliktverhalten tatsächlich mit dem Sozialpartner, in diesem Fall dem Menschen, assoziiert.

Deshalb sage ich immer: seid vorsichtig mit dem Aggressionsverhalten.

Das, was ihr eigentlich haben wollt, ist doch, dass der Hund drangvoller verbellt. Was die meisten Leute damit meinen, ist, dass der Hund so ein bisschen in die Frustration kommt. Und das ist für mich der Unterschied!

Frustration als Emotion kann jetzt zu verschiedenen Reaktionen führen. Kennt der Hund eine Lösung, weil ich sie ihm vorher beigebracht habe, dann geht er ins Verbellen. Das ist das, was wir wollen. Dann zeigt er ein drangvolleres Verbellen. Kennt er die Lösung nicht, dann könnte es sein, dass er ins offensive Aggressionsverhalten rutscht. Der Hund ist im Verbellen nicht total sicher und kann seine Frustration dann nicht in das Verhalten stecken, sondern sucht nach einer anderen Strategie. Das ist lediglich davon abhängig, wie gut ich das vorher ausgebildet habe.

Aber man kann ja nicht einen ganzen Sport verteufeln, weil es ein paar Leute gibt, die da noch nicht auf dem neuesten Stand des Trainings sind.

Sporthund: Ich habe auch eher den Eindruck, dass Leute, die gar keinen Bezug zum Hundesport haben, den Schutzdienst gar nicht als problematisch ansehen. Viel kritischer sind tierschutzrelevante Ausbildungsmethoden. Das will keiner mehr sehen.

Dr. Esther Schalke: Das ist ja noch mal ein ganz anderes Kapitel. Es kann auch mal tierschutzwidriges Training Aggressionsverhalten auslösen, weil du einen Hund hast, der sich dagegen wehrt. Aber das würde ich voneinander trennen. Was natürlich sein könnte, und da ist der Schutzdiensthelfer gefragt, wenn man einen Hund psychisch belastet und der wird unsicher und rutscht dadurch ins Aggressionsverhalten und dann weicht der Helfer zurück oder bleibt stehen, dann lernt er, dass defensives Aggressionsverhalten erfolgreich ist. Und das ist wirklich ein No-Go für unseren Sport. Das ist etwas, was im Dienst gebraucht wird, aber das gehört nicht in den Sport!

Sporthund: Weil das leicht generalisiert wird und auf Alltagssituationen übertragen werden kann?

Dr. Esther Schalke: Genau. Weil der Hund dann lernt, dass Aggression eine Lösungsstrategie sein kann, wenn mich ein Mensch belastet.

Sporthund: Noch mal zurück zu der Aussage von Dr. Ganzloßer. Da haben wir festgestellt, dass aus einer sportlichen Ausbildung im Schutzdienst, wie wir sie oben als vernünftig festgelegt haben, keine Gefahr der Generalisierung von Aggressionsverhalten besteht.

Dr. Esther Schalke: Wenn du das über das Jagdverhalten, also Beuteverhalten machst … Wer geht schon mit einem Hetzarm über die Straße?!

Sporthund: Jetzt ist aber Helfertreiben für das Verbellen sehr populär geworden. Und da gibt es natürlich von denen, die sich nur vertreiben lassen, bis zu denen, die den Hund dabei stark bedrohen, alle Extreme. Das wird teilweise so betrieben, dass die Hunde die Augen schon vor dem Kopf stehen haben und nach allem schnappen, was sie kriegen können. Ab wann wird das gefährlich?

Dr. Esther Schalke: Es wird dann gefährlich, wenn der Hund ins defensive Aggressionsverhalten wechselt, weil er sich wirklich belastet fühlt und dann lernt, wenn er ins Aggressionsverhalten geht, kann er was bewirken.

Bei den Hunden, die einfach nur immer höher drehen im Sinne einer Frustration aufgrund der Beutemotivation, halte ich das nicht für den schlauesten Ausbildungsweg, aber da hat er dann keinen Konflikt mit dem Helfer. Da hätte das keine Auswirkung. Aber da, wo du den Hund so belastest, dass es zur defensiven Aggression kommt, da kann es gefährlich werden.

Sporthund: Das hat also sehr viel mit dem Fingerspitzengefühl des Ausbilderteams zu tun.

Dr. Esther Schalke: Das steht und fällt mit deinem Schutzdiensthelfer. Erkennt er das, was er da gerade macht, im Ausdrucksverhalten? Das ist für mich das A und O. Unsere Schutzdiensthelfer müssten, was das Lesen von Hunden angeht, so gut geschult werden, dass sie die Feinheiten in der Mimik sofort wahrnehmen.

Sporthund: Was aber ganz schön schwer ist.

Dr. Esther Schalke: Das ist gar nicht so einfach. Das stimmt. Das muss man viel üben und zwar mit jemandem, der fit im Ausdrucksverhalten ist, der simultan sagt, jetzt siehst du das, jetzt siehst du das.

Sporthund: Wahrscheinlich am besten mit Videoaufnahmen, oder?

Dr. Esther Schalke: Wir haben ja den Wesenstest an der Hochschule gemacht. Und nach dem ersten Wesenstest haben wir uns den ganzen Nachmittag die Hunde anguckt – wieder und wieder. Irgendwann bist du so gut trainiert, da brauchst du das nicht mehr. Da lässt du die Aufnahme nur noch mitlaufen, um zu checken, ob es wirklich stimmt. Aber am Anfang haben wir manche Hunde drei-, viermal angeschaut, bis wir sagen konnten, das ist so und so.

Hans Ebbers: Ich glaube, dass die Schulung der Helfer enorm wichtig ist. Damit die Leute auch wissen, was sie da vorne machen.

Sporthund: Das betreiben die Vereine ja sehr unterschiedlich. Beim SV kann jeder einen Anzug anziehen und schon ist er Helfer. Bei anderen Vereinen muss man zuerst eine Helferprüfung ablegen.

Hans Ebbers: Eine Helferarbeit setzt sich ja aus verschiedenen Komponenten zusammen. Sicherlich gehört zum einen körperliches Geschick dazu. Aber für die Ausbildung ist es am wichtigsten zu erkennen, in welche Motivationslage steuere ich den Hund und was kann er dann überhaupt noch leisten. Wenn beim Verbellen mehr Belastung auf den Hund gemacht wird und er aus der Defensive reagiert, warum sollte er dann noch sauber verbellen? Dann wird er Fehler machen und wird anbeißen. Weil er an dieser Stelle dann einen Kampf führt. Da kann er kein technisches sauberes Verhalten mehr zeigen. Und fühlt er sich so belastet, dann wird er diese Aggression auch ins Griffverhalten setzen.

Wenn man an einer Schraube dreht, muss man auch wissen, was dadurch an anderer Stelle passiert.

Sporthund: Genau an dieser Stelle entgleist Ausbildung auch sehr schnell. Da wird dann gesagt, der macht nicht sauber Aggression, der wechselt immer wieder in die Beute, der will hier anbeißen und dann kommen die Korrekturen durch Zwangseinwirkung.

Dr. Esther Schalke: Da geht es nicht so sehr um Aggression, sondern mehr um Lernverhalten. Aber diese Schulungen der Helfer … Eine genaue Definition, an welchem Trainingskriterium jetzt eigentlich gearbeitet wird, ist sehr wichtig. Da wird im Moment noch zu viel durcheinander geschmissen.

Man muss da für den Hund sehr präzise sein. Dann hätte man dieses Chaos auch nicht, was du gerade beschreibst. Weil dem Helfer dann klar wird, dass er an sechs Sachen auf einmal arbeitet. Was lerntheoretisch gar nicht funktionieren kann.

Sporthund: Einige Hundesportler behaupten, dadurch dass der Hund regelmäßig sein Aggressionsverhalten ausleben kann, baut er Stress ab und ist ausgeglichener. Kritiker sagen hingegen, dadurch übt er Aggressionsverhalten ein und wird gefährlicher.

Hans Ebbers: Auch hierbei kommt es darauf an, in welchem Aggressionsbereich der Hund gerade ist. Reagiert er mit defensivem Aggressionsverhalten, verstärkt es sich. Im Diensthundewesen machen wir das ganz bewusst. Bestärke ich ihn in diesem Lösungsweg, dann wird er in jeder Situation, wo er eine Belastung empfindet, Aggressionsverhalten zeigen und nach vorne marschieren. Das ist ja das, was den Diensthund ausmacht. Aber das Gleiche passiert auch im Privatleben. Das Problem ist nur: wenn der Hund diesen Lösungsweg gelernt hat, dann wird er um 16:00 Uhr nicht sagen, ich hab Feierabend, ich such mir jetzt einen anderen Lösungsweg.

Sporthund: Wie hoch ist der genetische Einfluss auf das Aggressionsverhalten?

Dr. Esther Schalke: Dazu gibt es eine Studie vom schwedischen Militär. Die haben eine landeseigene Zucht. Eigentlich ist es eine militärische Zucht, aber sie geben auch Hunde an den Polizeidienst ab. Der Genetiker, der die Zucht betreut, hat mal geguckt, welche Eigenschaften sich eigentlich wie stark vererben.

Was hat hohe Heritabilität? Und die Art der Konfliktlösungsstrategie, Aggressionsverhalten ist ja nur eine Konfliktlösungsstrategie, hat keine hohe Heritabilität. Weil es sehr stark durch Lernverhalten zu beeinflussen ist. Emotionalität und Selbstbewusstsein haben jedoch eine hohe Heritabilität.

Sporthund: Frau Dr. Feddersen-Petersen hat mal Folgendes gesagt: „Als Kriterium der Zuchtauswahl halte ich den heutigen „Schutzdienst“ (streng nach der Prüfungsordnung im spielerischen Sinne durchgeführt) für unverzichtbar.“ Ich halte da zum Beispiel die DMC-Körung für viel aussagekräftiger. Weil man ja im Schutzdienst nur erlerntes Verhalten sieht. Wie siehst Du das?

Dr. Esther Schalke: Das ist der Punkt. Aber das ist bei der Körung auch schon fast so. Du hast immer bestimmte Lernkomponenten dabei. Aber die Frage ist, wonach guckst du, um selektieren zu können? Und worauf wollen wir überhaupt selektieren? Darüber müssen sich die Vereine erst mal im Klaren sein. Was ist euer nächstes Zuchtziel?

Man kann nicht die “Eierlegende Wollmilchsau” züchten. Du kannst auch nicht alles auf einmal selektieren. Du musst dir einen oder zwei Schwerpunkte setzen. Vielleicht einen im Verhalten und einen in der Gesundheit.

Man müsste eine Standerhebung machen. Wo steht der Deutsche Schäferhund? Wo steht der Dobermann? Wo steht der Rottweiler? Und sich dann fragen, was wollen wir verändern.

Ich nehme mal etwas, was mir persönlich gefallen würde. Ich sehe, dass wir immer mehr auf Geschwindigkeit selektieren. Geschwindigkeit und extrem leichte Erregbarkeit gehen jedoch ganz häufig Hand in Hand. Dadurch züchten wir zwar immer schnellere Hunde, die aber, ich nenne es mal unethologisch, nicht mehr so belastbar sind. Wollen wir das wirklich?

Ich nehme mal ein Beispiel aus der Dummyarbeit und der Labradorzucht. Da haben wir das auch ganz massiv. Wir haben Züchter, die wollen immer mehr Style – also Geschwindigkeit in der Dummyarbeit. Die Hunde sind richtig schnell, aber sie werden immer schwieriger für die richtige Jagd. Sie sind zum Teil so leicht in der Erregung ansprechbar, dass sie, wenn sie wirklich mal lange irgendwo sitzen müssen, das fast nicht mehr nervlich durchhalten. Es geht also immer wieder um die Frage, worauf legen wir Wert, wenn es um die Vererbbarkeit geht. Und da muss sich auch der Sport fragen, worauf legen wir unseren Schwerpunkt? Wofür gibt es viele Punkte? Denn wir müssen uns nichts vormachen, der, der auf dem Treppchen steht, wird auch als Vererber immer gefragt sein.

Sporthund: Ja, vor allem wenn man dann sieht, dass z. B. im SV die Hunde 60 Deckakte machen dürfen und noch 30 im Ausland. Das sind dann zumeist ziemlich junge Hunde.

Es gibt ja Leute, die stehen auf dem Standpunkt, dass man besser mit sieben- bis achtjährigen Hunden züchten sollte, weil man dann viel genauer weiß, was man bezüglich Gesundheit zu erwarten hat.

Dr. Esther Schalke: Bei einer Hündin wird es natürlich eng, wenn man die so spät in die Zucht nimmt, was die Fertilität angeht. Dann kriegst du unter Umständen kleinere Würfe.

Sporthund: Ich spreche ja jetzt von den Deckrüden.

Dr. Esther Schalke: Beim Rüden ist das anders. Ich glaube nicht, dass man da schon mit sechs Jahren einen Abfall der Spermaqualität hat. Das ist ja auch immer noch zu berücksichtigen. Mit sechs Jahren hat man einen guten Überblick über die gesundheitlichen Aspekte.

Was ja z. B. für den Deutschen Schäferhund eine ganz spannende Frage ist, ist die Wirbelsäule. Da kriegt man natürlich viel eher mit sechs, sieben Jahren eine Aussage als mit zwei oder drei. Das Cauda-equina-Kompressions-Syndrom und diese Sachen, die ja ein Riesenthema sind, die kommen halt erst mit sechs, sieben Jahren.

Sporthund: Es wird auf Hundeplätzen immer von triebstarken Hunden, Wehrtrieb, Aggressionstrieb usw. gesprochen. Sind diese Bezeichnungen richtig?

Dr. Esther Schalke: Nein. Aggression ist kein Trieb, sondern eine Reaktion auf einen äußeren Reiz.

Sporthund: Wie müsste man es dann richtigerweise benennen?

Dr. Esther Schalke: Man könnte statt Beuteverhalten, weil da würde man sich ja nur auf das Verhalten beziehen, noch Jagdtrieb sagen. Es gibt ja einen eigenen inneren Antrieb, jagen zu gehen. Jeder weiß ja eigentlich, was gemeint ist. Ich will mich jetzt auch nicht so sehr daran aufhängen, aber wenn wir es mal ethologisch richtig benennen wollen, dann wäre der ehemalige Wehrtrieb das defensive Aggressionsverhalten. Das offensive Aggressionsverhalten hieß früher konkurrenzbedingte Sozialaggression.

Die beiden unterscheiden sich hinsichtlich der Emotion, die das Verhalten auslöst. Das eine Verhalten wird aufgrund von Unsicherheit gezeigt. Da ist Furcht oder Angst die Motivation. Bei dem anderen Verhalten ist es die Konkurrenz um eine Ressource oder Frust.

Sporthund: Begriffe wie Wehrtrieb, Beutetrieb, Meideverhalten kommen aus der Triebtheorie von Konrad Lorenz. Die ist ja nicht mehr haltbar.

Dr. Esther Schalke: Er selbst hat gesagt, er hat sich geirrt.

Sporthund: Und trotzdem hält es sich Jahrzehnte danach noch?!

Dr. Esther Schalke: Wir sprechen heute von Trieb bei allem, wo es einen eigenen inneren Antrieb gibt, dieses Verhalten zu zeigen. Das hast du im Jagd-/Beuteverhalten. Da kann man es Jagdtrieb nennen. Alles andere ist immer eine Kommunikation, eine Interaktion. Das Gleiche gilt für das Meideverhalten. Das entsteht ja auch aufgrund der Agonistik. Das Tier hat ja, sobald ein Stressor ins Spiel kommt, vier Möglichkeiten zu reagieren.

Sporthund: Die vier F´s.

Dr. Esther Schalke: Genau. Die klassischen vier F´s: Fight, Freeze, Flight, Flirt/Fiddle. Und davon ist Vermeiden, also Flucht, ja eine mögliche Reak-tion. Und das ist kein eigener innerer Antrieb. Sondern der Hund erkennt die Situation und vermeidet den Schaden. Und von daher ist die Bezeichnung Trieb nicht gerechtfertigt.

Die 4Fs von Esther Schalke

Sporthund: Ressourcenverteidigung war gerade noch ein Stichwort. Im Mondioring gibt es die Übung „Bewachen eines Gegenstandes“, die der Hund allein ohne seinen Hundeführer ausführen muss. Besteht da die Gefahr einer Generalisierung? Könnte er eine Ressourcenaggression entwickeln?

Dr. Esther Schalke: Wenn du dir mal Videos vom KNPV anguckst, da machen die meisten Hunde das nicht aus der offensiven Aggression, das heißt, die verteidigen gar nicht ihre Ressource, sondern die machen das aus der defensiven Aggression, die verteidigen gerade ihr Leben. Die haben gemerkt, dass es schlecht für sie läuft, wenn sie da nicht ins Aggressions-verhalten gehen. Den Gegenstand haben sie nur als Kontext verstanden. In diesem Zusammenhang muss ich aufpassen, wenn da jemand kommt, dann ist das bedrohlich für mich.

Da muss ich natürlich wirklich kontextbezogen bleiben. Wenn ich den Kontext da vernachlässige, dann fängt der Hund sofort an zu generalisieren: Menschen, die so auf mich zukommen, die sind gefährlich für mich. Das könnte schon Auswirkungen auf den Alltag haben. Es besteht die Gefahr, dass das mit dem Ausdrucksverhalten des Menschen assoziiert wird.

Hans Ebbers: Aber nichtsdestotrotz könnte man die Objektbewachung auch so aufbauen, dass es nichts mit einer Belastung und dem Bereich der Agonistik zu tun hat. Wenn es wirklich im Bereich der Ressource ist, dann gehe ich nicht über Aggressionsverhalten, sondern über die Bewegung.

Sporthund: Wie würde das aussehen?

Hans Ebbers: Der Aufbau wäre anders. Der hätte dann nichts mit Belastung zu tun, sondern mit Frustration durch Konkurrenz und Wegnehmen. Zuerst muss ich dem Hund ein technisches Verhalten beibringen, damit er weiß, was er machen soll. Danach kann man etwas Frustration mit ins Spiel bringen, um ein energischeres Verhalten zu bekommen. Das ist ja auch in anderen Bereichen im Ringsport so. Bei der Verteidigung des Hundeführers zum Beispiel. Das ist eine rein technische Übung. Der Hund lernt, dass er in den Vollschutz beißen soll, wenn der Helfer den Hundeführer berührt. Und so lange das im Beuteverhalten abläuft, und der Vollschutz ist ja ein Signal für Beuteverhalten, hat das mit dem Menschen erst mal nichts zu tun. Im Dienst trainieren wir sehr wenig mit dem Vollschutz. Denn, wenn der Vollschutz als Kontext nachher im Dienst fehlt, dann wird der Hund den Täter fragen, ob er irgendwo eine Person mit Vollschutz gesehen hat.

Sporthund: Wie kann man die Qualität eines Hundes am besten beurteilen?

Dr. Esther Schalke: Da gibt es fünf Kriterien, an denen du im Ausdrucksverhalten sehen kannst, ob das ein Hund ist, der wirklich alles gibt. Also, ist das ein guter Arbeitshund oder ist das eine Lusche, die nur technisches Verhalten abspult, der aber der letzte Pfennig an der Mark fehlt.

Ein Punkt 1 ist, wie häufig wäre der Hund bereit, das Verhalten zu wiederholen. Das kann man natürlich in einer Prüfung schlecht testen. Du kannst ja nicht die Situation nochmal und nochmal wiederholen.

Die anderen vier Punkte sind:

  1. die Intensität der Reaktion. Du siehst schon, mit welchem Tunnelblick der Hund sich nur auf diese Situation fixiert und ob er sich voll auf seine Aufgabe konzentriert.
  2. die Energie, die er in das Verhalten steckt. Das erkennst du an der Muskelspannung.
  3. die Geschwindigkeit, mit der er etwas macht.

Und die Latenzzeit. Das ist die Zeit zwischen dem Wahrnehmen eines Reizes und der darauf-folgenden Reaktion.

Wenn die Intensität, die Geschwindigkeit und die Energie hoch sind und die Latenzzeit kurz, dann hast du diesen energiegeladenen Hund, um den es vielen Sportlern geht.

Und wenn du einen Hund hast, der in den ersten drei Punkten niedrig ist und in der Latenzzeit sehr hoch, dann hast du einen Hund, dem das letzte Quäntchen an Emotionalität fehlt, um dann tatsächlich ein guter Gebrauchshund zu sein.

Vielleicht müsste man sich mal Gedanken darüber machen, wie man das in ein Bewertungs-system einarbeiten kann, was dann auch praktikabel für den Leistungsrichter vor Ort ist.

Hans Ebbers: Das ist natürlich schwierig. Wenn du so ein System verändern willst, dann müssen ja alle zustimmen. Ob das gelingt? Man sieht ja, wie schwierig es ist, eine Prüfungsordnung zu verändern.

Sporthund: Ja, da wird dann drei Jahre diskutiert, ob wir bei der IPO 1 nun ein- oder zweimal über die Hürde springen.

Hans Ebbers: Je größer die Gruppe ist, desto schwieriger ist das. Weil jede Gruppe unterschiedliche Zielsetzungen hat. Und dann gibt es ja auch noch nationale Beschränkungen. In der Schweiz finden, glaube ich, überhaupt keine Stockschläge mehr statt. Da darf für eine Meisterschaft mal eine Ausnahme gemacht werden. Und die Ausbildungswege werden ja auch unterschiedlich vorgegeben.

Wir müssen da gar nicht vom E-Gerät anfangen, was bei uns verboten ist, aber in den Nachbarländern nicht. Die Voraussetzungen sind unterschiedlich und die Gesetzgebung auch. Das muss sich ja alles irgendwo in einer PO widerspiegeln.

Sporthund: Das E-Gerät ist ein leidiges Thema. Es ist in Deutschland verboten, aber das heißt ja nicht, dass es nicht benutzt wird. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, es unter Nachweis von Sachkunde zu erlauben?

Hans Ebbers: Das denke ich auch. Aber wie soll so ein Sachkundenachweis aussehen? Wer soll denn da wen prüfen und wie soll das ablaufen?

Dr. Esther Schalke: Wie es ablaufen sollte, darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Aber wen nimmt man als erste Prüfer mit ins Boot? Das ist natürlich eine schwierige Frage. Rechtlich ist es so: Im Moment haben wir nur ein Gesetzesurteil zu einem Paragrafen des Tierschutzgesetzes, der sich auf die Tatsache beruft, dass das Gerät, um das es ging, in der Lage war, erhebliche Schmerzen, Leiden, Schäden auszulösen. Das heißt, die Frage ist ja, wenn das Gerät dazu nicht mehr in der Lage ist, gilt dann dieses Urteil noch?

Sporthund: Das ist eine interessante Frage.

Dr. Esther Schalke: Ich habe mal mit einer Juristin gesprochen. Das ist noch nicht das Ende der juristischen Fahnenstange, wenn das jemand wirklich durchklagen wollte. Ethologisch haben wir ja ein paar Studien gemacht, die zeigen, dass das so einfach nicht ist …

Sporthund: Die vergleichende Studie mit Stachel, Abbruchsignal und dem E-Gerät?

Dr. Esther Schalke: Ja. Da ist ja ein politisch unerwünschtes Ergebnis bei rausgekommen.

Sporthund: Ja, das konditionierte Abbruchsignal hat nicht wirklich funktioniert.

Dr. Esther Schalke: Vor allem hat es aber bei den Hunden, wo es funktioniert hat, eine erheblich höhere Belastung ausgelöst. Das kommt ja noch dazu. Was nicht heißt, dass ich einen Freifahrtschein für das E-Gerät haben möchte.

Sporthund: Man muss auch ehrlicherweise sagen, dass damit viel Missbrauch betrieben wurde.

Dr. Esther Schalke: Da kommen wir ja gerade beim E-Gerät in eine heiße Diskussion. Ist das, was wir da wahrnehmen, wirklich ein Schmerz?

Da ist Dieter Klein (Anmerkung der Redaktion: Dipl. Ing. für Biomedizinische Technik und Autor des Buches „Telereizgeräte – Sachkunde zur Anwendung in der Hundeausbildung“) dann der bessere Ansprechpartner. Aber jeder, der mal ein E-Gerät an sich ausprobiert hat; ich habe im Zusammenhang mit unserer Studie mehrere Geräte ausprobiert; ob jetzt das jemand rein medizinisch auf den hohen Stufen als Schmerz bezeichnet oder nicht – ich fand, es tat weh.

Aber abgesehen davon, muss man auch sagen, das Tierschutzgesetz macht eine ganz klare Vorgabe. Das ist der vernünftige Grund. Und damit kommen wir im sportlichen Bereich an einen ganz kritischen Punkt. Ist der Sport ein vernünftiger Grund? Das bleibt immer im Raum stehen. Und das ist immer diskussionswürdig, unabhängig von den Ergebnissen, die wir haben.

Sporthund: Aber im Diensthundebereich gibt es diesen vernünftigen Grund, z. B. dass der Hund sauber trennt, wenn er einen Täter gebissen hat.

Dr. Esther Schalke: Es gibt auch eine Alltagssituation: das massive Jagdverhalten. Das wäre so etwas, wo man diskutieren könnte. Das muss man sich nicht schönreden. Das führt uns nicht weiter. Aber dann haben wir eine gute Abwägung und die ist natürlich wirklich eine spannende Frage.

Hans Ebbers: Aber im Diensthundebereich – wo das gerade angesprochen wurde – ist es natürlich so, dass bestimmte Sachen im Dienst auf jeden Fall funktionieren müssen. Das Training beinhaltet aber nicht, dass da immer schön aufs Knöpfchen gedrückt wird. Die ersten Schritte müssen ganz klar so sein, dass man dem Hund ein Verhalten beibringt.

Und das ist beim Anti-Jagd-Training genau das Gleiche.

Sporthund: Das steht außer Frage.

Ein E-Gerät ist keine Fernbedienung für den Hund.

Dr. Esther Schalke: Ein Stressor muss immer kontrollierbar sein.

Hans Ebbers: Es kann aber immer in einer hohen Motivationslage dazu kommen, dass selbst bei optimaler Vorbereitung der Tag kommt, an dem mein Tierchen sagt: Oh, das Kaninchen finde ich aber jetzt spannender. Und dann kommt er nicht zurück. Wie geht man dann damit um? Wenn ich eine lange Leine dran habe, natürlich kann er nicht hinterherlaufen …

Dr. Esther Schalke: Er kann aber trotzdem jagen. Er kann nur nicht hetzen.

Da haben wir auf der einen Seite: ein Leben lang an der Leine laufen. Da haben wir ja in Studien nachgewiesen, dass das die Tiere sehr belastet. Auf der anderen Seite das einmalige Abbrechen durch Zwangseinwirkung via E-Gerät. Da muss man aber auch ganz klar sagen, das ist eine positive Strafe, die eine Aversion auslösen soll.

Sporthund: Und das ist dann auch schon selbstbelohnend.

Hans Ebbers: Der Hund wird natürlich die Erfahrung machen, in einem bestimmten Kontext ist es unmöglich. Aber die Frage ist, möchte ich überall als Signal bei diesen ganzen Verhaltensweisen dazwischen stehen? Denn irgendwann bin ich nicht da. Und dann wird der Hund auch gelernt haben: der Kontext ist anders – jetzt ist es möglich.

Sporthund: Seit Bart Bellon häufig über Dopamin spricht und sich das YouTube Video „Dopamine-Jackpot“ in der Hundesportszene immer größerer Bekanntheit erfreut, wird auch auf Hundeplätzen über dieses Thema „gefachsimpelt“. Kannst du den Einfluss von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin und GABA (Gamma-Aminobuttersäure) auf das Aggressionsverhalten des Hundes so erklären, dass es auch Nicht-Wissenschaftler verstehen?

Dr. Esther Schalke: Man kann noch nicht einmal sagen, ein Neurotransmitter löst immer das eine oder andere aus. Nehmen wir mal Dopamin, da gibt es fünf verschiedene Rezeptorarten an den Gehirnzellen und je nachdem, in welchem Gehirnareal du bist, gibt es dann Rezeptoren der einen und der anderen Art und in einen Fall hemmt es mal, im anderen aktiviert es.

Von daher gibt es keine allgemeingültige Antwort. GABA ist zum Beispiel relativ „einfach“. Das ist der hemmende Neurotransmitter im Gehirn. Also immer da, wo die Nachfolgezelle gehemmt wird, hat die Vorläuferzelle vor allem GABA ausgeschüttet. Bei Glutamat ist es genau andersherum, das ist der aktivierende Neurotransmitter im Gehirn.

Wo wir ja im Moment so viele Diskussionen drüber haben, das sind Dopamin und Serotonin. Vereinfacht gesagt, erhöht Dopamin die Aufmerksamkeit. Überall da, wo du aufmerksam oder wachsam bist, ist Dopamin ganz stark beteiligt.  In bestimmten Gehirnarealen ist es zuständig für die Motorik. Parkinson ist die bekannteste Krankheit. Das passiert, wenn du Dopaminmangel hast. Die Patienten kriegen dadurch diese Schüttellähme.

Aber Dopamin ist auch in bestimmten Gehirnarealen zuständig für das Belohnungsgefühl. Das heißt überall da, wo du mit Belohnung arbeitest – denn es gibt ja diese Diskussion, da muss ich diesen oder jenen Neurotransmitter ausschütten – also, der wird ausgeschüttet, wenn das Tier sich belohnt fühlt. Das war schon immer so.

Da, wo du im Ausdrucksverhalten siehst, dass das Tier ein freudiges, lustbetontes Verhalten zeigt, wird Dopamin ausgeschüttet.

Und Serotonin ist am bekanntesten als stimmungsaufhellender Neurotransmitter. Es gibt Untersuchungen, die gezeigt haben, wenn der Serotoninspiegel beim Hund sinkt, dann kriegt er schlechte Laune.

Sporthund: Das ist ja beim Menschen auch der Grund für Depressionen.

Dr. Esther Schalke: Unter anderem, genau! Für Serotonin gibt es zurzeit 13 bekannte Rezeptorarten. Ein paar Sachen wissen wir, zum Beispiel, dass Dopamin in Kombination mit Noradrenalin zu Denkblockaden unter Belastung führt. Also, wenn du das Tier belastest. Das ist auch das, was Hans vorhin meinte mit: Wenn du ein technisches Verhalten beibringen willst, ist es wenig sinnvoll, das Tier ins Aggressionsverhalten zu bringen und es zu belasten.

Sporthund: Weil dadurch das Lernverhalten blockiert wird?

Dr. Esther Schalke: Ja, vor allem die Transferleistung, die wir ja eigentlich haben wollen, dass das Tier sagt, das Verhalten, das gerade eben die Strategie war, ist leicht zu transferieren für andere Situationen oder für die nächste Übung. So was ist schon allgemeingültig. Aber dieser große Hype, den das im Moment auslöst … Wir können auf dem Hundeplatz keine Dopamin- oder Noradrenalinkonzentration messen, aber wir können Ausdrucksverhalten lesen.

Emotionen, die natürlich biochemisch von den Neurotransmittern im Gehirn aktiviert werden, spiegeln sich im Ausdrucksverhalten wider.

Und deshalb halte ich es für wichtiger für uns als Sportler, dass wir uns mit dem Thema Ausdrucksverhalten und den zugrundeliegenden Emotionen beschäftigen, als genau zu wissen, das war jetzt Dopamin im Nukleus accumbens zum Beispiel, weil es in diesem Bereich zuständig für Belohnung ist. Das ist interessant für uns als Neurobiologen. Das wird uns auch sicherlich in vielen Bereichen noch sehr weit führen, aber es ist für uns auf dem Hundeplatz nicht der entscheidende Faktor. Wer Ausdrucksverhalten lesen kann, ist im Sport auf der sicheren Seite.

Sporthund: Was für einen Einfluss hat Testosteron auf das Aggressionsverhalten?

Dr. Esther Schalke: Das ist eine spannende Frage. So richtig genau wissen wir es nicht für den Hund. Es gibt viele sogenannte Questionaires, also Untersuchungen, die auf Fragebögen basieren. Das sind für mich, als jemand, der eine Zeit lang in der Wissenschaft gearbeitet hat, immer eine der – ich sag es jetzt mal etwas böshaft – Formen von Forschung, um Publizieren zu können, die aber eine sehr geringe Forschungsaufgabe haben.

Weil du jemanden sehr darüber beeinflussen kannst, je nachdem, wie du die Fragen stellst. Aber angenommen, du hast das alles gut gemacht, dann hat es auch noch etwas damit zu tun, wem du diesen Fragebogen gibst.

Jetzt nehmen wir mal an, du gibst ihn einer Hundebesitzergruppe, die haben alle ihre Hunde kastriert, weil sie Aggressionsprobleme mit ihrem Hund hatten und es ist hinterher – warum auch immer – besser geworden. Die haben ja auch trainiert. Dann werden sie den Fragebogen immer so ausfüllen, dass es eindeutig einen Zusammenhang mit der Kastration gab.

Wenn du es seriös machen willst, müsstest du zwei Gruppen haben. Du nimmst die gleiche Rasse, die gleiche Problematik, die gleiche Ursache, also Emotion für das Aggressionsverhalten, dann kastrierst du die eine Gruppe und die andere kastrierst du nicht. Mit beiden Gruppen machst du keine Verhaltenstherapie und schaust dann, ob es trotzdem eine Verbesserung gibt. Aber diese Studie gibt es nicht.

Deshalb ist es bisher nur ein Verdacht, dass Testosteron das Aggressionsverhalten fördert. Was wir sehen ist, dass es eher männliche Tiere sind, die diesen Konflikt suchen. Wobei das natürlich auch mit dem Fortpflanzungsverhalten zu tun hat.

Wenn du sozusagen deine Konkurrenten ausschalten musst, ist das eine Strategie. Wenn du hingegen den Nachwuchs großziehen musst, ist es besser, im Sozialverband etwas herzustellen. Aber dann spielen natürlich auch noch andere Parameter eine Rolle. Wann ist das Gehirn denn testosteronisiert worden? Wann hat sich das Verhalten etabliert? Zu welchem Zeitpunkt kastrierst du? Da sind wir so am Anfang der Forschung, dass ich es für gewagt halte, da jetzt schon eine klare Aussage zu machen.

Sporthund: Ist Aggression selbstbelohnend?

Dr. Esther Schalke: Nein, Aggression ist nicht selbstbelohnend. Jagdverhalten ist selbst-belohnend. Aggressionsverhalten hat die Belohnung im Erfolg und der Erfolg ist immer eine Distanzvergrößerung, sobald es sich um defensives Aggressionsverhalten handelt.

Sporthund: Und wie ist es mit der Aussage, die man auch oft auf Hundeplätzen hört, Aggression potenziert sich am Verhalten selbst?

Dr. Esther Schalke: Wenn der Hund mit seinem Aggressionsverhalten keine Wirkung beim Gegenüber erzielt, können zwei Dinge passieren: Er switched in seiner Strategie und “sagt” Aggression funktioniert hier nicht, dann würde er ins FREEZE, FLIGHT oder FLIRT/FIDDLE gehen.

Es könnte aber auch sein, dass er in der Eskalationsstufe einen Schritt weiter geht und “sagt”, also wenn ich noch eine Schüppe drauf packe, vielleicht funktioniert es dann. Aber das weißt du immer erst dann, wenn es passiert. Hat sich das Tier entschieden eine andere Strategie zu probieren oder rutscht es in den sogenannten EXTINCTION BURST. Das hat jetzt zweimal funktioniert, ich probiere beim dritten Mal ein bisschen mehr. Wenn das Gegenüber dann darauf reagiert, wird der Hund dieses Niveau beim nächsten Mal wieder ausprobieren.

Sporthund: Also gibt es eine Art Gewohnheit?

Dr. Esther Schalke: Eine erlernte Lösungsstrategie. Das lerntheoretische Gesetz dahinter nennt sich „matching law“.

Das “matching law” besagt, dass man genau ausrechnen kann, mit welcher Wahrschein-lichkeit das Lebewesen – auch wir Menschen – in einer spezifischen Situation auf welche Lösungsstrategie zurückgreifen wird.

Das hat immer was damit zu tun, wie erfolgreich diese Strategie in der Vergangenheit war. Jetzt nehmen wir mal an, dich belastet jemand und du hast zu 40% den Konflikt mit Aggressions-verhalten lösen können und zu 60% dadurch, dass du ausgewichen bist. Dann wirst du beim nächsten Mal, wenn du in diese Situation kommst, mit einer Wahrscheinlichkeit von 60% zuerst FLIGHT ausprobieren, weil es in der Vergangenheit das erfolgreichere Verhalten war. Es ist genau berechenbar: wie häufig hat das Tier in dem Konflikt gestanden und wie häufig war welche Lösungsstrategie erfolgreich.

Sporthund: Was wäre die beste Prophylaxe, wenn ich Aggressionsprobleme verhindern will? Sozialisation?

Dr. Esther Schalke: Sozialisation ist wichtig, aber es ist keine ausschließliche Prophylaxe. Du hast Tiere, die sind schlecht sozialisiert, machen das aber trotzdem nie. Und es gibt Tiere, die sind super sozialisiert, die kommen dann trotzdem in diese Situation. Erst mal ist Aggressionsverhalten ja nichts Schlechtes, sondern Aggressionsverhalten ist eine von vier Strategien einen Konflikt zu lösen. Und es heißt auch nicht, nur weil der Hund es einmal gemacht hat, hast du sofort ein Problem. Es passiert ja nicht zwangsläufig beim nächsten Mal wieder. Das ist das, was ich mit dem “matching law” meine.

Deshalb bin ich da etwas entspannter, als unsere Gesellschaft im Allgemeinen, wenn es um Aggressionen geht.

Um mit seinem Hund keine Probleme in der Gesellschaft zu haben, ist ein gutes Training das Wichtigste. Nicht nur in der Sozialisationsphase, sondern auch danach. Und natürlich muss ich in der Lage sein, am Ausdrucksverhalten zu erkennen, ob mein Tier einen Konflikt hat. Der Hund, der sich z. B. verspannt und im Freeze ist, kann morgen sagen, Freese nutzt mir nichts mehr und dann zu einer anderen Strategie wechseln.

Hans Ebbers: Wenn du dir mal kleine Hunderassen anschaust, wie oft die Aggressionsverhalten wählen – die sind natürlich schön einfach zu handhaben, weil du sie einfach hochnehmen oder wegziehen kannst – aber bei denen sieht man oft ein massives Aggressionsproblem. Beim großen Hund fällt das natürlich viel mehr ins Gewicht. Aber um jetzt bei den Emotionen zu bleiben … Der Kleine hat genauso viel Stress, wie ein Großer!

Dr. Esther Schalke: Das ist immer „behandlungswürdig“, sobald das Tier dauerhaft einer Belastung ausgesetzt ist. Eine einmalige Belastung stecken wir alle ganz gut weg. Aber wenn es erheblich wird, durch die Dauer der Belastung und die Intensität, dann ist es egal, ob es ein kleiner oder großer Hund ist. Dann sollte man dringend etwas unternehmen, damit es dem Tier besser geht. Ich bin aber nicht der Meinung, dass wir zunehmend Hunde mit Aggressionsproblemen haben. Das ist sicherlich auch eine heiß gemachte Diskussion, die teilweise überbewertet wird.

Sporthund: Weil es auch um die Interessen derer geht, die daran verdienen wollen?

Dr. Esther Schalke: Ja, was wir aber auch haben, ist eine zunehmend naivere Vorstellung von Natur.

Hans Ebbers: Kühe sind lila! Und die Eier kommen vom Osterhasen.

Dr. Esther Schalke: Und daraus ergeben sich Situationen, wo du als jemand, der viel mit Hunden zu tun hat, sagst, das war doch klar, dass das jetzt in die Hose geht. Aber was wir auch haben, ist immer weniger Leute nehmen Rücksicht auf andere. Wenn ich jemanden bitte, seinen Hund anzuleinen, dann will ich nicht darüber diskutieren, aber das machen reichlich Hundebesitzer. Dein Schätzchen fällt nicht tot um, wenn es jetzt mal zwei Minuten an der Leine gehen muss. Da sind Hundebesitzer in der Eigenverantwortung, etwas rücksichtsvoller zu sein. Ich sag dir, wenn das so wäre, dann wären auch 90% unserer Verhaltensprobleme nicht mehr da.

Sporthund: Haben denn Deiner Meinung nach Hunde genügend Möglichkeiten Konflikte auszutragen? Kommentkämpfe halten die meisten Leute nicht aus und versuchen, dass dann abzubrechen, wenn sie es irgendwie können.

Dr. Esther Schalke: Für mich ergibt sich gerade die Frage: gibt es eine Notwendigkeit dafür? Also wenn ich einen Hund treffe, den mein Hund gar nicht kennt, warum sollte der dann mit dem was ausmachen?!

Wir haben jetzt vier Hunde zu Hause, eigentlich fünf, aber der eine ist fast immer beim Sohn, natürlich streiten die sich schon mal um was. Unsere Hunde sind alle gut sozialisiert, die kennen alle die Spielregeln. Natürlich gibt es auch manchmal Situationen, wo ich sage, jetzt ist aber mal Schluss hier, aber oft mische ich mich nicht ein, denn die müssen zusammen in der Gruppe leben.

Unsere Hunde kenne ich gut, da weiß ich, wie das abläuft, aber auf der Straße, muss ich ganz ehrlich sagen, gehöre ich zu den Konfliktvermeidern. Nimmt das ab in unserer Gesellschaft, dass Hunde sich auch mal streiten dürfen?

Hans Ebbers: Kommt immer drauf an, wie das Ergebnis nachher ist. Es gibt viele, die sagen, die machen das schon untereinander aus, aber ist das Ergebnis anders als gewünscht, laufen sie zum Ordnungsamt und dann heißt es, du hast einen bissigen Hund.

Sporthund: Würdest Du Hundesportlern raten, als Prophylaxe für innerartliche Aggressionsprobleme, eine Welpenschule zu besuchen? Viele haben da ja Vorbehalte.

Dr. Esther Schalke: Das sind alte Zöpfe, die auch die Hundesportler langsam abschneiden sollten. Wir sind mit unseren Hunden in eine Welpengruppe gegangen, obwohl wir ja ein Rudel zuhause haben, aber für den Sozialkontakt ist es wichtig, dass Welpen auch Gleichaltrige treffen. Und am besten eben nicht mit Hunden aus der eigenen Rasse. Ein Schäferhund ist an Schäferhunde schon sozialisiert.

Man muss natürlich darauf achten, in welche Welpenschule man geht. Viele Gruppen sind zu groß. Vier bis fünf Welpen, mehr würde ich nicht nehmen. Dann ist es wichtig, das richtige Maß zu finden, wie viel dürfen die Hunde sich untereinander streiten. Da gibt es manchmal Prügelknaben, da denkst du, der lernt hier nur Unsinn, nämlich dass er ein absoluter Looser ist. Und dann gibt es das andere Extrem, diese panische Angst, wenn die sich mal ganz kurz haben, wo jede Möglichkeit zum Streit sofort unterbunden wird. Beides ist nicht gut. Es hängt auch hier wieder von der Qualität des Trainers ab.

Als Hundesportler würde ich aber auch noch auf einige andere Dinge achten. Es gibt zum Beispiel Hundetrainer, die bringen den Welpen zuallererst Sitz bei. Wo ich dann immer denke, für den Sport ist das nicht schlau, weil du hinterher das Steh brauchst. Alle Welpen bieten Steh spontan an. Ich würde also immer zuerst am Steh arbeiten, das unter Signalkontrolle bringen und dann mit dem Sitz weitermachen. Ich würde meinem Hund auch nicht beibringen, sich immer passiv hinzusetzen, wenn ich einen aktiven Hund im Sport haben möchte.

Dann fällt mir noch etwas ein, was für Rassen mit einem hohen Temperament, wie es unsere Gebrauchshunde haben, wichtig ist, auch gerade, wenn es um Prophylaxe für Aggressionsprobleme geht.

Was du ja eigentlich willst, ist eine Umweltgewöhnung. Per Definition ist Habituation, der Hund sieht den Reiz und der Reiz hat keine oder nur eine geringe Bedeutung und deshalb hat er im späteren Leben keine oder nur eine geringe Bedeutung.

Was du ganz häufig in den Welpengruppen siehst, ist, dass alles futterassoziiert wird. Die gehen über einen Holzbalken und kriegen dafür eine Belohnung, die laufen eine Treppe hoch und kriegen dafür eine Belohnung. Das ist assoziatives Lernen.

Ein Hund, der eine Assoziation gemacht hat, dass Umweltreize immer für Belohnung stehen, geht in die Umwelt und hat eine wesentlich höhere Erwartungshaltung. Das heißt, das Grunder-regungsniveau dieses Hundes ist höher, als bei einem Hund, der wirklich habituiert wurde.

Wenn du ein höheres Grundniveau an Erregung hast, dann summieren sich Stressoren im Alltag auf und der Punkt, wo die Reizschwelle überschritten ist, ist natürlich viel schneller erreicht.

Und deshalb musst du in einer Welpengruppe darauf achten, wenn du einen Hund aus einer temperamentvollen Rasse hast, dass er wirklich habituiert wird und nicht alle Reize mit einer Belohnung assoziiert werden. Das ist gut gemeint, aber extrem schlecht gemacht!

Sporthund: Der Halter hat ja auch eine bestimmte Erwartungshaltung, wenn er in eine Welpenschule geht. Er möchte, dass sein Welpe da anständig bespaßt wird. Da kommen die Hunde auf den Platz, Leinen ab und sie können sofort toben und spielen.

Dr. Esther Schalke: Ja, der Welpe lernt, dass es aufregend ist, Artgenossen zu treffen. Und das sind nachher die Hunde, wo dir die Besitzer zurufen „der tut nix“, was ja immer bedeutet, „ich krieg ihn nicht mehr zurück“.

Sporthund: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und die offenen Worte. 

Quelle: https://www.sporthund.de/magazin/blog/hundesport/igp-mondioring/wer-geht-schon-mit-einem-hetzarm-ueber-die-strasse-teil-1

Danke an “Sporthund”, dass Ihr uns den Artikel zur Verfügung gestellt habt!

 

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