In unserem fortgesetzten Gespräch mit Astrid Hübner von Malinois Diversity vertieft sie ihre Perspektiven zur Bewahrung der genetischen Vielfalt durch Einkreuzungen und behandelt wichtige Themen wie das Popular-Sire-Syndrom, Inzuchtkoeffizienten und die genetische Identifizierung von Hunderassen. Ihre Einblicke bieten einen weiteren Einblick in die komplexen Herausforderungen und Strategien, die bei der Hundezucht eine Rolle spielen.
K9andSports: Dann sind es ja eigentlich zwei Dinge, die man beachtet. Das eine ist eine Verpaarung, die sehr vielversprechend ist. Aber das andere ist, die Größe des Genpools, welche man nicht einengen will.
Astrid: Genau, es ist gut, wenn wir eine Vielzahl von Züchtern mit unterschiedlichen Zuchtzielen haben, da dies zu einer breiten genetischen Streuung führt.
K9andSports: Kannst du den Lesern etwas zu dem Begriff „Popular Sire“ sagen?
Astrid: Das ist ein Rüde, der überdurchschnittlich oft zum Decken eingesetzt wurde. Insgesamt kann das Popular-Sire-Syndrom zu einer Verringerung der genetischen Vielfalt und zu gesundheitlichen Problemen in zukünftigen Generationen führen. Es ist wichtig, bei der Zucht auf eine ausgewogene Verwendung von Rüden zu achten, um die Gesundheit und Vielfalt der Population zu erhalten
Unter Berücksichtigung dieser Tatsache empfiehlt die FCI, dass kein Hund mehr Nachkommen haben soll als 5% der Gesamtzahl der Welpen seiner Zuchtpopulation.
Welche Zahlen man da jetzt beim Malinois zu Grunde legen sollte, um dies zu errechnet? Weltweit? Im Land? Im Verein? – ich persönlich würde es auf die Subpopulation (Linien) beziehen. Show – IPO – Ring: je nach Linien werden unterschiedliche Hunde zu Popular sire.
K9andSports: Es wird ja in diesem Zusammenhang auch immer viel vom Inzuchtkoeffizienten gesprochen und vom Ahnenverlustkoeffizient. Kannst du mir diese Begriffe erklären?
Astrid: Der Ahnenverlustkoeffizient gibt Auskunft darüber, wie viele Ahnen ein Hund theoretisch haben könnte und wie viele davon aufgrund von Doppelungen in der Ahnentafel verloren gegangen sind.
Der Inzuchtkoeffizient gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Hund zwei identische Allele von seinen Vorfahren erbt. Inzucht kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Positiv kann sie dazu beitragen, bestimmte Merkmale in einer Rasse zu festigen. Gleichzeitig birgt sie jedoch das Risiko, dass der Hund einen Gendefekt erbt. Daher wird empfohlen, dass der Inzuchtkoeffizient nicht mehr als 5 Prozent beträgt. Bis zu 10 Prozent gelten noch als vertretbar, aber alles darüber hinaus ist sowohl für die Population als auch für den Hund selbst problematisch.
Jedoch arbeite ich mit beiden auf Ahnentafeln basierenden Koeffizienten nicht mehr. Um einen realistischen Inzuchtkoeffizienten zu erhalten, müsste man ihn über alle Generationen berechnen. Dies ist jedoch eine äußerst zeitaufwändige Aufgabe, die selbst moderne Computer vor Herausforderungen stellt. Auf Plattformen wie working-dog.com dauert es bereits sehr lange, um den Inzuchtkoeffizienten für elf Generationen zu berechnen. Um eine wirklich aussagekräftige Zahl zu erhalten, müssten jedoch mindestens 30 bis 50 Generationen zurückverfolgt werden, was extrem zeitaufwendig ist.
K9andSports: Das heißt, wie behelfe ich mir in diesem Fall?
Astrid: Ich verwende genomische Auswertungen. Diese beinhalten ein Markerprofil ähnlich dem, das für DNA-Analysen benötigt wird. Allerdings werden dabei wesentlich mehr Marker ausgewertet.
Auf Basis dieser Informationen wird ein genomischer Inzuchtkoeffizient ermittelt, der aussagekräftiger ist als traditionelle Berechnung anhand der Ahnentafel.
K9andSports: Inzucht ist ein bedeutendes Thema. Wie problematisch ist es speziell beim Malinois?
Astrid: Beim Malinois liegt derzeit der genomische Inzuchtkoeffizient bei Feragen (Labor für genetische Veterinärdiagnostik) bei knapp 6 Prozent, was im Vergleich zu anderen Rassen relativ gut ist. Optimalerweise sollte er aber unter 5% liegen.
K9andSports: Wie sehen die Werte bei anderen Gebrauchshunderassen aus?
Astrid: Beim Boxer liegt der IK zum Beispiel bei 23%, beim Deutschen Schäferhund bei knapp 13%
K9andSports: Wie entwickeln sich diese Werte innerhalb einer geschlossenen Zuchtpopulation mit der Zeit?
Astrid: Wenn die Zuchtbücher geschlossen sind, kann es nur noch Abwärts gehen, da keine neuen Gene hinzukommen. Je kleiner die Zuchtbasis, je schneller steigt der Inzuchtgrad an, selbst wenn die Hunde zufällig verpaart werden, ohne dass gezielte Inzucht gemacht wird.
K9andSports: Zunächst mag es positiv erscheinen, dass innerhalb eines Rasseverbandes nur die Rasse selbst gekreuzt wird. Wenn ich es richtig verstehe, wäre es aber aus gesundheitlicher Sicht für die Hunde durchaus sinnvoller, gelegentlich auch andere Rassen einzukreuzen?
Astrid: Mit dem Wissen, dass der Inzuchtgrad innerhalb einer geschlossenen Population unweigerlich steigt, ist es sinnvoll, diesem mit Einkreuzungen entgegenzuwirken. In der Pferde- und Nutztierzucht ist das absolut üblich.
Kreuzungen zweier unterschiedlicher Rassen führen dazu, dass die Nachkommen heterozygoter sind, was bedeutet, dass sie verschiedene Versionen desselben Gens tragen. Dies führt zu einer größeren genetischen Vielfalt, die sich positiv auf die Anpassungsfähigkeit an die Umwelt und Fitness auswirken kann. Je höher die Vielfalt, bzw je geringer die Inzucht, je unwahrscheinlicher ist es, dass zwei Defektgene aufeinandertreffen.
Man muss aber bedenken, dass Rasseübergreifende Krankheiten wie zum Beispiel HD, ED, LÜW oder DM auch bei einem Mix aus Malinois und DSH vorkommen können.
Man benötigt für solche Einkreuzungsprojekte ein gutes Zuchtmanagement. Sonst sind die positiven Auswirkungen nach sehr wenigen Generationen wieder verloren. Das Thema ist sehr komplex, wer mehr darüber wissen möchte kann gerne auf unserem Projektblog nachlesen.
K9andSports: Könntest du näher auf das Thema Registerpapiere eingehen?
Astrid: Du kannst einen Hund ohne FCI-Papiere, der aber rassetypisch ist, registrieren lassen. Dazu fährst du zu einer Ausstellung, wo der Hund von einem Richter begutachtet und phänotypisiert wird. Wenn der Hund dem Aussehen eines beispielsweise belgischen Schäferhundes entspricht, wird er in den Registeranhang des Zuchtbuches eingetragen.
K9andSports: Könnte man die Reinrassigkeit eines Hundes im Vorfeld nicht genetisch bestimmen?
Astrid: Die genetische Bestimmung der Rasse eines Hundes ist eine relativ neue Methode. Im Rassestandard ist jedoch keine Vorgabe enthalten, wie die Genetik des Hundes sein sollte.
Es gibt nur einen Standard für das äußere Erscheinungsbild einer Rasse.
Wenn man sagt, dass dieser Rassebestimmungstest die Grundlage ist, fallen viele FCI-Malis aus der Zucht heraus.
Oft kommt der Malinois anteilsweise als holländischer Schäferhund zurück. Ob das daran liegt, dass viele KNPV-Hunde eingekreuzt wurden oder ob die Rassen so eng verwandt sind, dass sie nicht wirklich unterschieden werden können, kann ich nicht sagen.
K9andSports: Kannst du Beispiele nennen, bei denen das Einkreuzen einer anderen Rasse erfolgreich praktiziert wurde?
Astrid: Beispiele hierfür sind zum Beispiel der Retro-Mops (ohne brachycephalem Atemnotsyndrom) oder der LUA Dalmatiner (Ohne Hyperurikämie). Aber auch beim Malinois wurde ja schon immer eingekreuzt – wenn ich selten offiziell. Hunde aus KNPV, NVBK oder Kennel Club haben schon immer ihren Weg in die FCI Zucht gefunden. Da dies überwiegend unter falschen Papieren passiert (ist), lässt es sich nur sehr schwer nachvollziehen.